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#Der Detektiv der Inflation

„Der Detektiv der Inflation“

Die Gummibären machen Pro­bleme. Andreas Maurer hat „Kaugummi oder andere Süßigkeiten“ auf seinen langen Liste stehen, aber welche soll er nun nehmen? Eine ganze Wand hängt voll mit den unterschiedlichsten Gummibären-Tüten, welche mit Saft, andere sauer, manche als Dinos, große Tüten mit der Familienportion, kleine Tüten nach Farben sortiert, von bekannten Marken und von weniger bekannten. Nach kurzer Suche entscheidet er sich für den Klassiker, die Goldbären, in der Standardgröße.

Doch Andreas Maurer ist nicht in den großen Supermarkt am Rande der Stadt Wiesbaden gekommen, um einzukaufen. Er ist wegen der Preise gekommen. Darum hat er auch keinen Einkaufskorb dabei, sondern sein Handy. Dort tippt er nun den Preis für die Goldbären ein, 0,99 Euro. „Ich glaube, die haben die Packungsgröße reduziert“, sagt er plötzlich, als er genauer auf die Packung schaut, von einst 200 Gramm auf 175 Gramm. Auch das tippt der Preisermittler im Auftrag des Statistischen Landesamtes in sein Handy ein. Das ist immerhin ein verdeckter Preisanstieg von zwölf Prozent. Ein paar Tage später wird dieser Preis, den Maurer am Gummibärenregal eingetragen hat, mit Tausenden anderen verrechnet und am Monatsende zu einer einzigen Zahl zusammengefasst: der Inflationsrate für Hessen.

Tausende Preise werden geprüft

Wohl keine andere Zahl des Statistischen Landesamtes wird derzeit so intensiv diskutiert wie diese Rate, die knapp und klar zeigen soll, wie sehr die Verbraucherpreise in den vergangenen zwölf Monaten gestiegen sind. Auf 8,0 Prozent hatte sie sich zuletzt erhöht. Daran orientieren sich Verkäufer in den Geschäften, Vermieter bei ihren Mietpreisen und Gewerkschaften bei ihren Lohnforderungen – nicht zufällig fordert die hessische IG Metall exakt acht Prozent höhere Löhne. Doch bis am Monatsende diese sim­ple Zahl veröffentlich werden kann, braucht es Preisermittler. Rund 50 sind allein in Hessen jeden Monat im Einsatz, jeder von ihnen besucht dann 20 bis 80 Geschäfte und tippt jeweils Dutzende oder Hunderte Preise in die Statistik-App auf dem Handy ein, je nachdem, wie groß der Laden jeweils ist.

Für Maurer ist die Liste an diesem Tag lang, denn in dem Mega-Supermarkt, in dem er gerade unterwegs ist, gibt es nahezu alles, was erfasst werden muss. Obst, Süßigkeiten, Nudeln, Kaffeemaschinen, CD-Rohlinge, Druckerpapier, Ansichtskarten, Fotoalben – all das gibt ihm die App hier vor. Etwa zwei Stunden, sagt Maurer, werde er für seinen Rundgang benötigen. Wenn er schnell ist.

Ein Seitenwechsel

Der Weg in diesen Job war für ihn eine Art Seitenwechsel. Vor wenigen Jahren noch war er stellvertretender Leiter eines Supermarktes und hatte selbst Preise festgesetzt. Doch die Arbeitszeiten im Markt waren auf Dauer nichts für ihn, zumal als er Vater wurde. Also war er in den Landesdienst gewechselt. Und dort hatte er von Kollegen gehört, dass man sich als Preisermittler etwas dazuverdienen kann. Er habe zumindest hin und wieder mit konkreten Produkten in Kontakt kommen wollen statt nur an abstrakte Zahlen in der Behörde, erzählt er. Also bewarb er sich. Eine Nachmittagsschulung später war er ein Preisermittler. Seit August hat er jeden Monat 51 Geschäfte zu besuchen und Preise in die App einzutragen, das macht er das nach Feierabend und an Samstagen, in 20 Stunden pro Monat. Preisermittler wie er erhalten elf bis 18 Euro brutto die Stunde.

Nicht immer hat er es so leicht wie in dem riesigen Supermarkt, bei dem die Preise und Verpackungsgrößen an deutlich erkennbaren Preisschildern stehen. Auf seinem Routenplan steht zum Beispiel ein Küchenhaus, auch dort soll er die Preise jeden Monat erfassen, damit die Entwicklung verfolgt werden und in die Inflationsrate einfließen kann. „Doch da kann man nicht einfach reingehen und auf das Preisschild schauen.“ Bei dem Studio ist darum eine Modellküche hinterlegt, für die monatlich ausgerechnet wird, wie viel sie gerade kosten würde.

Die Damenabteilung durchstöbern

In Autohäusern wiederum hat er zu recherchieren, wie sich die Reparatur- und Wartungskosten verändert haben. Auch Spritpreise an einer Tankstelle hat er jedes Mal zu erfassen. Insgesamt 300.000 Preise fließen auf diese Weise in die Inflationsberechnung ein. Von der Miete über Reisekosten bis zu Konzert­tickets. „Ich hatte eigentlich immer gedacht, ich weiß, wie die Inflationsrate entsteht“, sagt Maurer. Doch dass es so komplex ist und Preisermittler nötig sind, das habe er nie irgendwo erfahren.

Und manchmal kann es ihn überfordern. Zum Beispiel in der Drogerie. Sicher, sagt er, von Lippenstiften haben auch Männer schon gehört. Aber dann stehe man vor dem Regal und sehe dort die unterschiedlichsten Farben, Marken und Modelle. „Und ich musste auch erst mal fragen, was eigentlich ein Kajalstift ist.“ Dass ein Mann minutenlang auf das Lippenstiftregal starrt oder nach Kajalstiften fragt, finde er nicht peinlich, sagt Maurer. Das sei ja nun mal sein Job. „Da muss man sich einfach Scheuklappen zulegen und durch.“

Auf der Suche nach dem gleichen Produkt

Er muss sich genau überlegen, von welchem Lippenstift oder welchen Gummibären er den Preis berücksichtigt. Denn er soll möglichst das exakt gleiche Produkt auch im Monat danach und den folgenden wieder nehmen, um jeweils die gleichen Preise vergleichen zu können – und nicht in einem Monat das Minipack von Haribo und im folgenden die Großpackung von Ökovital und anschließend wieder von Albio, Dennree oder irgendeiner anderen Marke.

Natürlich nehme auch er wahr, dass vieles teurer geworden ist, sagt Maurer, als er gerade zwischen den Obstregalen steht. Nicht nur als Preisermittler, sondern auch privat. „Wir reden gerade viel über Geld zu Hause“, sagt er. Er und seine Frau sind derzeit in Elternteilzeit, entsprechend bekommen sie zurzeit weniger Geld. Zugleich, sagt Maurer, müssten sie geschätzt deutlich mehr für ihre Lebensmittel ausgeben. Wie viel genau, könne er nicht sagen. „Wenn ich selbst einkaufe, achte ich nicht so sehr auf die einzelnen Preise wie als Preisermittler.“

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