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#Der Donbass, dreckig gewischt

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„Der Donbass, dreckig gewischt“

Schon nach der Annexion der Krim und dem danach entfachten Krieg im Osten der Ukraine wussten nicht wenige Künstler und Künstlerinnen, wie ihr Land 2022 aussehen würde: verheerend. Schließlich kannten sie die gewaltsame ukrainisch-sowjetische Geschichte und ihre Echos in den Meisterwerken des Avantgarde-Kinos, allen voran dem Klassiker „Arsenal“, in dem der geborene Ukrainer Oleksandr Dovzhenko 1929 dem Bürgerkrieg einen erstaunlich unheroischen Touch verpasste. Der Steirische Herbst lässt den Kino­erneuerer auf einige zeitgenössische Stimmen in einer Sonderausstellung treffen. Jede von ihnen entfaltet eine eigene Perspektive auf die ins Stocken geratene „Befreiung“ ihrer Heimat, bevor es im Herbst um ignorierte Kriege und unterdrückte Konflikte gehen soll. „Das Thema war schon voriges Jahr fixiert, aber aus dem Krieg in der Ferne ist ein Krieg in der Nähe geworden. Nach dem 24. Februar wollte ich konkret sein und alles auf die Ukraine zuschneiden“, so die in Moskau geborene Intendantin Ekaterina Degot.

Deshalb rückt jetzt, leider nur für einen Monat, das Kuratoren-Duo Mirela Baciak und David Riff jüngste Beispiele der ukrainischen Video-und Filmkunst in den Fokus. Und siehe da, manch einer der sieben Beteiligten zog in Deutschland gerne ausgeblendete Parallelen, noch bevor Wladimir Putin nach der gestarteten Offensive in eine kurios mit Nazi-Vergleichen jonglierende Desinformationsrhetorik verfiel. Etwa der 1985 in Charkiw geborene Mykola Ridnyi. In seiner Filmcollage „Temerari“ von 2021 taucht ein uniformierter Putin auf einem T-Shirt des kremlnahen Rechtspopulisten Matteo Salvini auf. Wer inzwischen denkt, T-Shirts tragende Politiker wären seit Wolodymyr Selenskyj um die Nahbarkeit der Macht bemüht, wird auf eine Agenda der Gegenseite zurückgeworfen, die bis zu den italienischen Futuristen reicht und einer kulturgeschichtlichen Zeitmaschine gleicht.

Mal geistert Mussolini beim Besuch der Biennale in Venedig durchs Bild, mal ist Tommaso Marinetti, sein späterer Kulturminister, auf Fotografien bei seinem Russland-Besuch von 1914 zu sehen, wenn er nicht gerade auf zittrigen Filmaufnahmen brachiale Botschaften aus dem „Futuristischen Manifest“ in die Jetztzeit sendet und dabei erstaunlich anschlussfähig klingt: „Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt –, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.“

Film Still aus Oleksandr Dovzhenkos „Arsenal“ (1929)


Film Still aus Oleksandr Dovzhenkos „Arsenal“ (1929)
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Bild: Steirischer Herbst

Nicht nur in den sozialen Medien, so zeigt es Ridnyi, lebt die Zerstörung verherrlichende Ästhetik bei muskelgestählten italienischen Neofaschisten oder ukrainischen Ultranationalisten fort. Er findet sie in Italien in Souvenirläden und in den abwertenden Reaktionen, wenn er sich als Ukrainer outet. Während Putin vorgibt, die Ukraine denazifizieren zu wollen, kämpfen eingereiste Rechtsextremisten mit Vorliebe auf der Seite Russlands. Gleichzeitig verstärkt Putin den Kult um die eigene Person, verwendet das Symbol Z und spricht auf Massenkundgebungen von der reinigenden Kraft der Gewalt. Ridnyi reagiert auf das die Bedeutung entleerende Verwirrspiel oder, anders gesagt, den Gipfel einer unlogischen Zuspitzung, an deren Ende die Realität kopfsteht, indem er den Begriff des Faschismus zusätzlich in einer mit historischen Dokumenten bestückten Installation wieder auffüllt.

Film Still aus Mykola Ridnyis „Temerari“ (2021)


Film Still aus Mykola Ridnyis „Temerari“ (2021)
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Bild: Steirischer Herbst

Diese konzeptuell angelegte Archäologie konterkariert die kunstvoll animierte und überaus intime Collage „Brief an eine Turteltaube“ der 1995 im heute okkupierten Melitopol geborenen Dana Kavelina. Zwischen 2018 und 2020 entstanden, verknüpft das filmische Antikriegspoem Amateuraufnahmen, die während des Krieges im Donbass 2014 gedreht wurden, Archivaufnahmen aus den Dreißigerjahren, als die Region zum Brennpunkt der stalinistischen Industrialisierung wurde, und Kavelinas eigene grafische Arbeiten und surreale Inszenierungen. Im Zentrum steht eine vergewaltigte junge Frau. Sie erzählt in einem unter die Haut gehenden halluzinativem Monolog von den Traumata und Träumen der Opfer eines misogynen Männerkults. „Gereinigt“ fühlt sie sich keineswegs, viel eher als Stellvertreterin eines verwundbaren Donbass-Körpers, wenn nicht nur Minen, Häuser und Museen zerstört werden, sondern auch die alternative ukrainische Identität im toten Winkel der Geschichte zu verschwinden droht.

Was täglich jenseits der vorselektierten Nachrichtenbilder geschieht, zeigt das anonyme Videoarchiv eines Telegram-Kanals, das von aktivistischen Bürgern und Bürgerinnen zusammengetragen wurde, auf einem winzigen Bildschirm. Tritt man näher, sieht man aus der Ferne Panzer explodieren und ist erleichtert über die entlegen scheinende Schlacht, nur damit das nächste Bild die Leichen der Soldaten, oder was von ihnen übrig blieb, erbarmungslos näherrückt und keinen Zweifel daran lässt, dass ihnen dieser „Spezialeinsatz“ ein dreckiges statt das Ego erhebendes Ende bereitet hat. Von Sauberkeit fehlt auch in dem Flüchtlingslager in der Transitzone zwischen Südukraine und der Region um Odessa jede Spur. Hier ist Pavel Brăila auf die zweiundsiebzigjährige Rentnerin Vera Derewjanko getroffen. Sie weigert sich, in eine bessere Unterkunft zu wechseln, und harrt lieber so lange in der Ödnis aus, bis sie wieder in ihre ostukrainische Stadt Pryluky zurückkehren kann.

Nicht zufällig heißt das Anfang 2022 entstandene Video „Vera heißt Glauben“, denn auch wenn die Seniorin desillusionierte Gedichte in der ukrainisch-russischen Mischsprache Surschyk schreibt und bekräftigt, nie wirklich über ihre Nationalität nachgedacht zu haben, verkörpert sie auch einen nach Jahrzehnten der Gewalt in die DNA übergegangenen Überlebenswillen, der trotzig auch über den jüngsten Tiefschlag zu triumphieren vermag.

Ein Krieg in der Ferne: Die umkämpfte Ukraine in Videokunst und Film. In der Neuen Galerie Graz, bis zum 1. August. Statt eines Kataloges gibt es eine kostenlose Broschüre.

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