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#Der Feind, der sich wandelt

Der Feind, der sich wandelt

Ist eine neue Virusvariante aus Finnland, „Fin-796H“, auch ein neuer Gefahrenherd für den Rest Europas – am Ende für die ganze Welt? Die jüngste Meldung des finnischen Rundfunksenders YLE, die vieles offen lässt, war für die Fachleute vor allem eines: ein Indikator für die enorme Verunsicherung und wissenschaftlich gesehen ein vorhersehbarer Effekt. Wer mehr sucht, findet auch mehr. In ganz Europa – und auch in weiten Teilen der restlichen Welt – wird seit wenigen Wochen sehr viel intensiver nach mutierten Sars-CoV-2-Erregern gefahndet als bisher.

Joachim Müller-Jung

Joachim Müller-Jung

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

Nicht jede Mutation oder Variante – von einer Variante ist immer dann die Rede, wenn es gleich mehrere Genveränderungen in einem Virus-Erbgut gibt – bedeutet auch ein höheres Risiko. 99,99 Prozent aller möglichen Mutationen im Coronavirus-Erbgut sind „funktional neutral“, wie es heißt – die Bauplanänderungen macht das Virus weder ansteckender noch tödlicher. Und doch entstehen immer wieder, so wie im Herbst vergangenen Jahres mutmaßlich in Südengland, beunruhigende Virusvarianten mit einer ganzen Ansammlung von bestimmten Mutationen.

Kopfzerbrechen bereiten solche Kombinationen wie im Fall der „britischen“ Variante B.1.1.7, die das Virus an den entscheidenden Stellen and er Oberfläche verändern. Und zwar so, dass sie entweder das Anheften an die menschliche Zelle erleichtern oder es den Antikörpern und Immunzellen schwerer machen, anzudocken und den Erreger so zu neutralisieren.

Ansteckungsrate deutlich höher

Ob die neue finnische Variante solche Eigenschaften mitbringt, muss erst noch gezeigt werden. Bei B.1.1.7 sind sich Virologen und Epidemiologen nach inzwischen weltweit gesammelten und veröffentlichten Daten in einem Punkt sicher: Die Variante wird leichter übertragen. Ursache dafür ist eine bessere Bindung an einer entscheidenden Stelle des Virus-Oberflächenproteins („Spike“) an die entsprechenden Andockstellen der Schleimhäute. Um 30 bis 70 Prozent erhöhen die B.1.1.7-Mutationen den R-Wert: Die Ansteckungsrate liegt also deutlich über dem Originalvirus, ein infektiöser Mensch steckt in der gleichen Zeit mehr Menschen an.

Lange dachte man, das Virus vermehrt sich schneller und liegt in größerer Zahl im Rachenraum vor. Inzwischen gibt es aber nach neueren Arbeiten an der Harvard-Universität auch Hinweise darauf, dass eher die Dauer der Infektiosität verlängert ist. Dem Verdacht, dass eine Ansteckung mit B.1.1.7 gleichzeitig auch die Gefahr erhöht, an der Infektion schwer zu erkranken oder zu sterben, wird derzeit von britischen Wissenschaftlern nachgegangen. Noch sind die entscheidenden Daten nicht veröffentlicht.

Auch die Frage, ob junge Menschen und Kinder mit der Variante häufiger und schwerer erkranken, ist noch nicht abschließend geklärt. Gerüchte dazu gibt es in England schon seit Anfang Januar. Kinderärzte, die solche Fälle untersucht haben, schließen aber eine höhere Sterblichkeit aus. Die Häufung bei jüngeren Menschen werden auf Schul- und Kitaöffnungen während des britischen Lockdowns zurückgeführt – mehr als auf veränderte Eigenschaften der Virusvariante.

Alle Impfstoffe wirken – nur bei B.1351 wird es schwierig

Alle derzeit in Europa zugelassenen Impfstoffe wirken auch gegen B.1.1.7, zuletzt haben das Daten von Biontech/Pfizer nachdrücklich gezeigt. Anders ist es nur bei der „südafrikanischen“ Variante B.1351: Sowohl die mRNA-Impfstoffe als auch der Vektorimpfstoff von Astra-Zeneca/Oxford und die mutmaßlich bald zugelassenen Vakzine von Novavax und Johnson & Johnson wirken nicht mehr ganz so gut bei den B.1351-Varianten. Das hat mit Mutationen zu tun, die es den Antikörpern schwer machen, das Virus genauso gut wie das Ursprungsvirus zu erkennen und zu attackieren.

Unwirksam sind die Impfstoffe zwar nicht, zumal der Impfstoff eine T-Immunzellen-Antwort hervorruft, die von den Mutationen nicht so stark beeinflusst wird. Aber offenbar können sich Menschen, die wegen einer früheren Infektion mit dem Ursprungsvirus als immun gelten, durchaus noch einmal mit der B.1.351-Variante anstecken. Das gleiche gilt für die „brasilianische“ Variante P1, die auch in Deutschland schon vereinzelt nachgewiesen wurde, aber sich ähnlich wie B.1351 nicht so rasch ausbreitet – zumindest unter den gegenwärtig seit Dezember geltenden Schutzmaßnahmen.

Die größten Sorgen sind deshalb auf B.1.1.7 gerichtet, dessen Anteil an einem Großteil der positiven Proben Mitte der Woche vom Robert-Koch-Institut auf gut 22 Prozent beziffert wurde. Fast überall in der Welt, wo sich diese Variante derzeit exponentiell ausbreitet, verdoppeln sich die Infektionszahlen etwa alle ein- bis zwei Wochen. Dass seit wenigen Tagen die Inzidenzen nicht weiter sinken im Lockdown führt Michael Meyer Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung auf die Vermehrung der B1.1.7-Fälle bei gleichzeitigem Abflauen des Originalvirus zurück.

Meyer-Hermann hat schon vor Wochen ein Modell vorgelegt, welches die derzeit ablaufende Entwicklung bei der Annahme einer um 50 Prozent höheren Übertragbarkeit vorwegnimmt. Sie zeigt: Der derzeitige Lockdown, würde er über Mitte März hinaus verlängert, dürfte das exponentielle Wachstum von B.1.1.7 verzögern – mehr nicht. Mildere Temperaturen im Frühjahr, Impfschutzeffekte und mehr Tests könnten zu einer Stabilisierung führen. Aber das dürfe kurzfristig nicht das Ziel sein. „Auch B.1.1.7 ist nicht unbesiegbar“, sagt Meyer-Hermann. „Wenn wir die Infektionszahlen insgesamt mit der neuen Variante senken wollen, reicht es nicht, den Lockdown nur zu verlängern.“

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