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#Der Moment, in dem ich meine Großmutter wieder umarmte

Der Moment, in dem ich meine Großmutter wieder umarmte

Es kommt nicht oft vor, dass ich einen Kloß im Hals habe. Mit den unschönen Seiten des Lebens kenne ich mich aus. Ich bin Gerichtsreporterin, da hört man sich im Lauf der Zeit so einiges an, was die Grenzen des Erträglichen überschreitet. Kollegen fragen mich manchmal, ob mir das nichts ausmacht, diese ständige Gewalt, immer nur fürchterliche Geschichten, Schicksale, kaputte Menschen. Dann sage ich: Meistens nicht. Das ist eben der Job. Ich habe gelernt, das Glück meines eigenen Lebens umso mehr zu schätzen. Fröhlich zu sein. Zu genießen. Mich nicht mehr so oft von einem Kloß im Hals bestimmen zu lassen. Das hat mich verändert.

Anna-Sophia Lang

Aber es gibt Momente, in denen mich der Kloß doch erwischt. Der Tag, an dem ich das erste Mal meine Großmutter wiedersehen durfte, nachdem ihr Seniorenheim im ersten Lockdown komplett abgeriegelt wurde, war so einer. Wir hatten wegen der Pandemie ihren 90. Geburtstag absagen müssen. Alle waren traurig, aber vor allem hatten wir Angst um sie. Man stößt den Gedanken von sich, dass sie sich anstecken und sterben könnte, aber so ganz wird man ihn nicht los. Vor allem nicht, wenn es immer wieder Nachrichten von Seniorenheimen gibt, in denen die Bewohner reihenweise dem Virus zum Opfer fallen. 90 Jahre sind ein stolzes Alter.

Ein Jahr lang durften wir sie nicht umarmen

Dann kam der Frühsommer und mit ihm die Regel, dass man die Einrichtung meiner Großmutter zwar nicht betreten durfte, sie aber für zwei Stunden für einen Spaziergang nach draußen gebracht werden durfte. Nie im Leben werde ich den Moment vergessen, in dem meine Großi im Rollstuhl nach draußen geschoben wurde, FFP2-Maske auf dem Gesicht, mit beiden Armen über dem Kopf winkend und lachend. Ich war so erleichtert, dass ich geweint habe.

Auf der ganzen Welt erschwerte das Coronavirus 2020 Besuche. In Smyrna, Vereinigte Staaten, winken sich eine Mutter und ihr Sohn durch die Scheibe zu und telefonieren dabei.


Auf der ganzen Welt erschwerte das Coronavirus 2020 Besuche. In Smyrna, Vereinigte Staaten, winken sich eine Mutter und ihr Sohn durch die Scheibe zu und telefonieren dabei.
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Bild: dpa

Seitdem habe ich sie immer wieder besucht, je nachdem, welche Bedingungen die Corona-Lage gerade vorschrieb. Nur draußen, nur zu zweit drinnen mit negativem Test, immer mit Maske, Abstand und viel Luft. Ein Jahr lang durften wir sie nicht umarmen, nicht ihre Hand halten, mussten uns so fern wie möglich von ihr halten, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Das ist hart, ausgerechnet dann, wenn man seine Großeltern am allermeisten beschützen und trösten möchte. Wir wissen alle, wie gut eine Umarmung der Seele tut.

Vor ein paar Wochen wurde meine Großmutter dann 91, ein weiterer Pandemie-Geburtstag. Aber diesmal war sie geimpft, zweimal. Ich kam in ihr Zimmer (eine frische FFP2-Maske auf und gerade negativ getestet) und sah sie da sitzen in ihrer hübschen blauen Bluse, fröhlich und zufrieden. Sie war wahnsinnig stolz auf ihre neue Frisur. Am Telefon hatte sie mir von den Komplimenten erzählt, die sie dafür bekommen hatte, sogar vom Stiftsleiter. Ich öffnete das Fenster sperrangelweit, und dann nahm ich sie in den Arm und hielt sie für ein paar Sekunden so fest, wie ich konnte.

Alles wird gut

Meine Großi ist für mich ein Fels in der Brandung. Wir machen uns einen Spaß daraus, mich auszulachen, wenn ich mal wieder ein schwäbisches Wort nicht aussprechen kann. Wir diskutieren, wer verrückter ist, Donald Trump oder Boris Johnson. Sie schneidet mir eine Seite aus der Stuttgarter Zeitung aus, wenn dort Redakteure aller möglicher Zeitungen gegen Hass und Gewalt gegenüber Journalisten anschreiben. Sie spricht mir Mut zu, wenn ich mit einer Veränderung im Job zu kämpfen habe. Wenn mich Corona mit all seinen Auswirkungen mürbe macht, baut sie mich auf. Ausgerechnet sie, die am allermeisten Grund hätte, mitgenommen zu sein.

Zumindest ein kleiner Trost: In Spanien hat ein Pflegeheim im vergangenen Juni Umarmungen durch eine Schutzfolie ermöglicht.


Zumindest ein kleiner Trost: In Spanien hat ein Pflegeheim im vergangenen Juni Umarmungen durch eine Schutzfolie ermöglicht.
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Bild: AP

Ich habe nie jemanden getroffen, der dankbarer ist. Viel davon hängt mit ihrem Glauben zusammen. Sie hat beschlossen, das Schöne zu sehen und sich nicht mit dem aufzuhalten, was sie nicht ändern kann. Sie ist fest davon überzeugt, dass alles gut wird. Jeden Tag, wenn ihre „Pflegenden“, so sagt sie, nachmittags eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen in ihr Zimmer bringen, legt sie ihnen ein „Schoklädle“ und einen Zettel mit einem Danke hin. Wenn es die Arthrose in der Hand zulässt, malt sie eine ihrer Glockenblumen oder ein Herz dazu. Ich glaube, dass meine Großi auch den Pflegern gut tut. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass die Pandemie sie verschont hat. Dafür haben sie den größten Dank verdient.

So richtig wohl werde ich mich wahrscheinlich erst fühlen, wenn wir alle zweimal geimpft sind. Vielleicht trage ich zur Sicherheit trotzdem noch eine Maske. Jedenfalls dann, wenn ich meine Großi umarme.

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