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#Der Weg des Attentäters führte über Lampedusa

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Der Weg des Attentäters führte über Lampedusa

Am 20. September herrscht Windstille über dem zentralen Mittelmeer. Die See liegt glatt wie Öl im gleißenden Sonnenlicht. Am Hafen von Lampedusa ist Hochbetrieb. Im Halbstundentakt kommen Flüchtlingsboote aus Tunesien auf der südlichsten italienischen Insel an. Bis Mitternacht zählen die Behörden insgesamt 28 solcher Holzboote, mit jeweils zehn oder höchstens zwanzig Migranten an Bord. Im Italienischen hat sich für diese Flüchtlingsboote aus Nordafrika das Wort „barchino“ eingebürgert: Die „Bötchen“ mit Außenbordmotor sind so klein, dass sie von der italienischen Küstenwache und den Schiffen der EU-Operation „Irini“ kaum je entdeckt werden, ehe sie die Küste von Lampedusa oder auch von Sizilien erreichen.

Matthias Rüb

Matthias Rüb

Politischer Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom.

Gut 300 Migranten, so gut wie alle aus Tunesien, kommen am 20. September auf Lampedusa an. Einer von ihnen ist Brahim Aouissaoui, der 21 Jahre alte Attentäter von Nizza, der am Donnerstag in der Basilika Notre-Dame de l’Assomption drei Menschen mit einem 17 Zentimeter langen Messer enthauptet beziehungsweise erstochen hat.

Das „barchino“ mit Aouissaoui an Bord hat in der tunesischen Küstenstadt Sfax abgelegt, von dort sind es knapp 190 Kilometer Luftlinie bis Lampedusa. Am 20. September ist der Hotspot von Lampedusa, das Aufnahmezentrum für Migranten, mit 1300 Menschen längst überfüllt. Platz ist dort regulär für 192 Personen. Bürgermeister Totò Martellam ist der regierenden Linkskoalition in Rom unter Ministerpräsident Giuseppe Conte weltanschaulich durchaus zugeneigt. Schon vor Tagen hat er einen Alarmruf abgesetzt: Unter den 6000 Einwohnern der Insel wachse die Wut, abermals mit dem Problem illegaler Migration von der Zentralregierung allein gelassen zu werden, und das mitten in der Pandemie. Rom chartert daraufhin in aller Eile von der Reederei GNV das Fährschiff „Rhapsody“, dort müssen die Migranten ihre vierzehntägige Quarantäne verbringen. Die Unterbringung und Versorgung der Migranten auf der „Rhapsody“ erledigt das italienische Rote Kreuz.

Von Sicherheitsdiensten geprüft

Brahim Aouissaoui wird bei der Ankunft auf Lampedusa von den Behörden erfasst und erkennungsdienstlich überprüft. Seine Personalien werden registriert, er wird fotografiert, seine Fingerabdrücke werden genommen. Ein erster Abgleich mit den Datenbanken der italienischen Geheim- und Abwehrdienste für potentielle Gefährder ergibt keinen Eintrag: Der junge Tunesier scheint ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Auch von den Behörden in Tunis, so teilte das Innenministerium in Rom nach dem Attentat von Nizza am Donnerstag mit, habe es keine Warnung mit Blick auf Aouissaoui gegeben.

Dieses Bild von Brahim Aouissaoui nahm die italienische Polizei am 8. Oktober 2020 im Hafen von Bari auf.


Dieses Bild von Brahim Aouissaoui nahm die italienische Polizei am 8. Oktober 2020 im Hafen von Bari auf.
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Bild: Polizia Scientifica Bari

Am 25. September wird Aouissaoui, zusammen mit 50 weiteren Migranten, vom überfüllten Hotspot in Lampedusa auf die vor dem Hafen liegende „Rhapsody“ gebracht. Mit rund 800 Migranten an Bord nimmt die „Rhapsody“ bald Kurs auf Bari in Apulien. Dort, auf dem italienischen „Stiefelabsatz“, betritt Aouissaoui am 8. Oktober, nach Beendigung der Quarantäne auf dem Schiff, das Festland. Seine Coronatests sind negativ ausgefallen. Im Hafen von Bari wird er von der italienischen Staatspolizei abermals erfasst und fotografiert. Tags darauf wird Aouissaoui auf freien Fuß gesetzt – mit einem Schreiben der Präfektur von Bari in der Hand, wonach er illegal nach Italien eingereist sei, keine Aussicht auf Asyl habe und das Land binnen sieben Tagen verlassen müsse.

Dann verliert sich seine Spur. Viel spricht dafür, dass Aouissaoui über Ventimiglia in der nordwestitalienischen Region Ligurien nach Frankreich gelangt ist. Zwar kontrolliert die französische Grenzpolizei dort die sechs Straßenübergänge und den Zugverkehr, aber die Grenze ist dennoch faktisch offen. Schlepper nehmen 50 Euro für den Transfer in das französische Städtchen Menton gleich hinter der Grenze, bis direkt nach Nizza kostet der Transport über die Grenze 150 Euro. Bei der Festnahme Aouissaouis nach der Bluttat in der Basilika von Nizza fand sich in dessen Rucksack neben mehreren Mobiltelefonen auch die Bescheinigung des italienischen Roten Kreuzes vom Fährschiff „Rhapsody“ über dessen negative Coronatests.

In Italien haben sich die Ermittler nun auf die Suche nach Personen gemacht, die gemeinsam mit dem Attentäter von Nizza auf der Überfahrt im „barchino“ von Sfax nach Lampedusa und später mit ihm auf dem Quarantäneschiff waren. Italienische Medien wollen von Zeugen erfahren haben, dass Aouissaoui auf der „Rhapsody“ ständig mit einem seiner Handys telefoniert habe. Hat Aouissaoui schon mit der Absicht oder dem Auftrag zum Mord in Frankreich das Migrantenboot in Sfax bestiegen? Wer hat ihm geholfen, von Bari durch ganz Italien nach Ventimiglia und von dort nach Nizza zu gelangen? Wer hat ihn in Frankreich an den Tagen vor dem Attentat – am Geburtstag des Propheten Mohammed – untergebracht und unterstützt? Der Fall Aouissaoui weckt Erinnerungen an den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt vom 19. Dezember 2016: Auch Anis Amri war 2011 von Tunesien über Lampedusa aufs italienische Festland und später nach Deutschland gelangt.

Die Reise Aouissaouis nach Lampedusa und durch Italien hat in den italienischen Medien und auch in der Politik ein großes Echo gefunden. Innenministerin Luciana Lamorgese und Polizeichef Franco Gabrielli müssen kommende Woche vor dem Geheimdienstausschuss des Parlaments aussagen. Matteo Salvini und Giorgia Meloni von den rechten Oppositionsparteien Lega beziehungsweise „Fratelli d‘Italia“ forderten noch am Donnerstag, Ministerpräsident Conte müsse sich in aller Form bei der französischen Regierung und beim französischen Volk wegen der Mitverantwortung Roms für das Attentat entschuldigen. Salvini und Meloni forderten die Innenministerin zum Rücktritt auf. Lamorgese wies die Rücktrittsforderung als durchschaubare parteipolitische Polemik zurück und bekräftigte: „Uns trifft keinerlei Verantwortung.“

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