#Die Ambitionen von Hendrik Wüst
Inhaltsverzeichnis
Gewissermaßen gehört es zur Amtsbeschreibung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, unabhängig von seinen tatsächlichen Ambitionen für Höheres im Gespräch zu bleiben. Mit einer Ausnahme haben alle Regierungschefs in den vergangenen Jahrzehnten auf diese Weise Bedeutung, Gewicht und Anspruch des bevölkerungsreichsten Bundeslandes zu unterstreichen versucht. Nur Hannelore Kraft, die zeitweilige Hoffnungsfigur der deutschen Sozialdemokratie, schloss die Kanzlerkandidatur für sich kategorisch aus. Ihrem Nach-Nachfolger Hendrik Wüst von der CDU käme es nicht in den Sinn, sich freiwillig zu beschränken. Nach kaum mehr als eineinhalb Jahren im Amt gilt der Ministerpräsident als ernsthafter Aspirant auf die Kanzlerkandidatur der Union.
Mit Wüsts bisher durchwachsener Regierungsbilanz lässt sich das kaum erklären, eher mit den Schwächen jenes Mannes, auf den die Kandidatur wegen der Schwindsucht der Berliner Ampel von allein zulaufen müsste: Friedrich Merz. Demoskopen ermitteln ein ums andere Mal, dass die CDU nicht in eigentlich erwartbarer Weise von der Unzufriedenheit mit der Bundesregierung profitiert, weil ihr Vorsitzender einen Teil der manchmal auch Angela-Merkel-Wähler genannten bürgerlichen Mitte verschreckt. Umfragerekorde erreicht derweil die AfD, deren Halbierung Merz einst vollmundig versprach.
Wortmeldung vor dem Parteitag
Zweifel, ob der Anti-Merkel-Mann Merz der Richtige an der Spitze ist, gab es in der CDU immer. Erst im dritten Anlauf konnte er Anfang 2022 den Vorsitz erringen. Hendrik Wüst, 47 Jahre alt und damit zwei Jahrzehnte jünger als Merz, greift diese Stimmung auf. „Wir machen Politik mit dem Herzschlag der Mitte“, lautete der Kernsatz eines Gastbeitrags Wüsts in der F.A.Z. zur Frage, wie die CDU Volkspartei bleiben könne. Die Feststellung kann eigentlich jeder in der CDU unterschreiben.
Dass Wüsts Aufsatz in der Partei gleichwohl als Angriff auf Merz verstanden wurde, hatte nicht nur mit dem Timing zu tun. Der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende meldete sich just zu Wort, als Merz mit einem kleinen Parteitag und einem großen Grundsatzkonvent in Berlin demonstrieren wollte, dass die CDU unter seiner Führung wie in ihren besten Zeiten lebendig und breit diskutiert. Hinzu kam: Wüst lobte Helmut Kohl und Angela Merkel für „eine Politik von Modernität, Mitte und Ausgleich“, während er den Namen des aktuellen Bundesvorsitzenden gar nicht nannte, Merz nach Einschätzung auch vieler Parteifreunde aber doch in aller Schärfe ansprach: „Wer nur die billigen Punkte hervorhebt und sich mit den Populisten gemein macht, legt die Axt an die eigenen Wurzeln und stürzt sich selbst ins Chaos.“ In der CDU interpretierte man das als Kritik an Merz’ Hang zu boulevardtauglichen Formulierungen.
Merz reagierte dünnhäutig
Manche in der CDU meinen, Wüst habe es zuletzt übertrieben, habe Merz ohne Not beschädigt. In den mehr als zwei Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl dürfe man sich keinesfalls wieder mit Personaldebatten verschleißen. Tatsächlich war das Ringen zwischen dem damaligen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder um die Kanzlerkandidatur der wesentliche Grund dafür, weshalb die Bundestagswahl 2021 für die Union im Desaster endete. Die Analyse der jüngsten CDU-Chaostage wäre unvollständig ohne einen Blick auf Merz’ Performance. Dass die Sache so groß wurde, hatte auch damit zu tun, dass Merz in altbekannter Weise dünnhäutig reagierte, dadurch Zweifler bestärkte und Anhänger ins Zweifeln brachte.
Mittlerweile geben sich Wüst und Merz demonstrativ vertraut. Doch Ruhe um der Ruhe willen ist keine Option. Die CDU muss im Gegenteil die kommenden Monate nutzen, um ihre zahlreichen offenen Fragen auch streitig zu klären. Wie kann es – zumal nach der Landratswahl im thüringischen Sonneberg – gelingen, die AfD so klein zu halten, dass die Union überhaupt eine Bündnisoption behält? Wie hält es die Union mit den Grünen? So wie Söder, der sie im bayerischen Landtagswahlkampf als Hort des Berliner Ampelübels darstellt, oder so wie Wüst, der sie als naheliegenden Koalitionspartner sieht? Alles andere als eine fixe Idee verbohrter Merz-Anhänger ist es zudem, eine kritische Auseinandersetzung mit dem flüchtlings- und russlandpolitischen Erbe Merkels zu verlangen. Der Ordenswettlauf, den sich Wüst und Söder jüngst lieferten, ist kein Ersatz für eine differenzierte Würdigung.
Wüst agiert planvoll und taktisch. Ob er auch ein kluger Stratege ist, muss sich noch weisen. Aktuell scheint es ihm vorrangig um den politischen Marktwert und den Ausbau seiner Position in der Bundes-CDU zu gehen. Anders als Merz, der 2025 die letzte Chance hätte, jene Karriere nachzuholen, die ihm vor 20 Jahren Merkel verbaut hat, steht Wüst nicht unter Zeitdruck. Bei der übernächsten Bundestagswahl wäre er im besten Kanzleralter. Riefe man ihn, stünde er aber bestimmt früher bereit.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.