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#Die große politische Bedeutung der Pipeline

Die große politische Bedeutung der Pipeline

Energieprojekte sind politisch oft umstritten, seien es Atomkraftwerke oder Ölbohrungen. Selten ist allerdings, dass sich die politische Debatte und der Baufortschritt so gegenläufig entwickeln, wie das bei Nord Stream 2 der Fall ist. Jahrelang konnten ihre Gegner die Gasleitung, die nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa mit Russland verbinden soll, nicht verhindern. Jetzt, da sie fertiggestellt ist, erscheint ihre Inbetriebnahme erstmals ernsthaft gefährdet.

Die amerikanische Regierung hat sich darauf festgelegt, dass die Pipeline im Falle eines russischen Angriffs auf die Ukraine gestoppt würde, und die Bundesregierung hat das offenbar akzeptiert. Selbst wenn das jetzt nicht geschehen würde, etwa weil es keinen Krieg gibt, stünde der Betrieb der Leitung immer unter politischem Vorbehalt. Die Bundesregierung hat sich in einer deutsch-amerikanischen Übereinkunft, die noch unter Merkel zustande kam, verpflichtet, auf russische Aggressionen mit Maßnahmen zu reagieren, die auch Nord Stream 2 betreffen können.

Gebaut zur Umgehung der Ukraine?

Warum ist über diese Pipeline ein so heftiger Streit entbrannt? „Nüchtern betrachtet verdoppelt die Nord Stream 2 die Transportkapazität durch die Ostsee um 55 auf 110 Milliarden Kubikmeter jährlich“, schreibt Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Betrachtet man nur die technische Seite, ist nicht einmal gesagt, dass die Leitung nötig ist.

Es gibt weitere Pipelines von Russland nach Westen, deren zusammengerechnete Kapazitäten derzeit nicht ausgeschöpft sind: „Brüderlichkeit“ durch die Ukraine, Jamal durch Belarus, Turk Stream und Blue Stream in die Türkei sowie Nord Stream 1, die ersten beiden Stränge der Ostsee-Leitung, die seit 2011 in Betrieb sind. Der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments gibt an, dass über diese bestehenden Leitungen theoretisch fast 300 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich nach Europa transportiert werden können. Tatsächlich waren es im Jahr 2019 aber gerade einmal 199 Milliarden Kubikmeter.

Die Anlagen in Lubmin, wo Nord Stream 2 auf Land trifft, in einer Aufnahme vom 15. Februar 2022


Die Anlagen in Lubmin, wo Nord Stream 2 auf Land trifft, in einer Aufnahme vom 15. Februar 2022
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Bild: AP

Warum wird Nord Stream 2 dann überhaupt gebaut? Die Projektgesellschaft sagt, dass Europa bis 2035 einen zusätzlichen Importbedarf von 120 Milliarden Kubikmetern habe; Nord Stream 2 könne etwa ein Drittel davon decken. Dass die europäische Gasförderung zurückgeht, ist unbestritten. In Großbritannien, Dänemark, den Niederlanden und Deutschland ist sie zuletzt schneller gesunken, als bei der Planung von Nord Stream 2 noch angenommen wurde. Hinzu kommen die Vorteile gegenüber den bestehenden Leitungen, vor allem denen durch die Ukraine, welche die größte Kapazität haben. Diese sind in schlechtem Zustand, eine Sanierung würde wahrscheinlich Milliarden kosten. Nord Stream 2 ist nicht nur moderner, es ist auch deutlich kürzer, und es fallen keine Transitgebühren an die Regierung in Kiew an. Zusammen mit dem zusätzlichen Angebot auf dem europäischen Gasmarkt, das die Pipeline brächte, ergibt sich daraus die Erwartung günstigerer Preise für die Kunden in Europa.

An dieser Stelle wird es politisch. Nicht nur in Kiew glauben viele, dass Nord Stream 2 gebaut wurde, um die alten Leitungen durch die Ukraine zu ersetzen. Ein Argument für die Ostsee-Pipeline lautet, dass sie eine direkte Verbindung zwischen Russland und der EU beziehungsweise Deutschland schafft, womit Gaskrisen wie die von 2009 nicht mehr möglich seien. Damals führte ein Streit zwischen Moskau und Kiew zu Lieferunterbrechungen in die EU. Die ukrainische Führung sieht hier allerdings eines ihren wenigen effektiven Druckmittel gegenüber Russland in Gefahr. Wenn Nord Stream 2 die Durchleitung durch die Ukraine überflüssig mache, dann müsse Putin politisch keine Rücksicht mehr auf die Ukraine nehmen, lautet die Befürchtung. Dass er den gegenwärtigen Konflikt just vom Zaun brach, als die Leitung fertig gebaut war, kann man als Beleg für diese These sehen.

Das führt zur größeren strategischen Frage, ob Moskau die weiter wachsende Abhängigkeit Europas von russischem Gas als Druckmittel nutzen würde. Russland hat Gaslieferungen schon häufiger für politische Zwecke genutzt, sei es in Form von Veränderungen der Liefermengen oder der Preise. Betroffen waren meist osteuropäische Länder. Aktuell liefert Gazprom trotz hoher Preise kein zusätzliches Gas nach Europa, was für ein gewinnorientiertes Unternehmen ungewöhnlich ist und ebenfalls auf einen möglichen politischen Hintergrund hindeutet. Dass Russland die Lieferungen nach Europa ganz einstellt, erscheint allerdings eher unwahrscheinlich, zumindest in Friedenszeiten. Auf Westeuropa und die Türkei entfielen 2020 78 Prozent der russischen Gasexporte; der Anteil russischen Gases an den Importen der EU lag bei 43 Prozent. Russland ist also im Gasgeschäft noch viel abhängiger von Europa als die EU von Russland.

Sorge über Abhängigkeit von russischem Gas

Das Hauptargument gegen die Pipeline ist denn auch ein geopolitisches. Eine noch größere Dominanz Russlands auf dem EU-Gasmarkt eröffnet Moskau vielfältige Einflussmöglichkeiten und dürfte immer wieder zu politischer Rücksichtnahme führen. Das hat gerade wieder die schwierige Berliner Entscheidungsfindung über die Frage gezeigt, ob Nord Stream 2 Teil von möglichen Sanktionen gegen Russland sein soll. Vor allem die amerikanische Regierung sieht diese Entwicklung mit Sorge.

Die EU sucht seit Langem nach anderen Gasanbietern. Norwegen (23 Prozent) und Algerien (sechs Prozent) waren 2020 die nächstgrößeren Lieferanten, neuerdings bezieht Europa auch Gas aus Aserbaidschan. Der Anteil von Flüssiggas lag ebenfalls bei 23 Prozent, hier waren die USA vor Qatar der größte Lieferant. Flüssiggas ist in der Regel teurer, auch die entsprechende Infrastruktur fehlt oft noch. In Deutschland etwa gibt es keinen Hafen für die Tanker. Der Ausgang der Ukrainekrise dürfte großen Einfluss darauf haben, wie es in dieser Frage weitergeht.

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