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#Die Zeitschrift „Berlin Review“: Mal kräftig durchlüften

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Wie viel Interesse an Gegenständen jenseits des Gewohnten ist heutigen Kulturdebatten zumutbar? Das neue Online-Magazin „Berlin Review“ sieht da eine Marktücke.

Jetzt gibt es die Onlinezeitschrift „Berlin Review“ schon fast einen Monat lang, aber man hat bisher nicht den Eindruck, dass sie viel Aufmerksamkeit erregt, dass sie als etwas wirklich Neues oder gar Notwendiges wahrgenommen worden wäre. Und tatsächlich: Existiert in Deutschland nicht schon, sehr im Unterschied zu Großbritannien und den Vereinigten Staaten, wo die großen „Review of Books“-Vorbilder des neuen Magazins herkommen, eine vielfältige Feuilleton-Landschaft mit fortlaufender Berücksichtigung wichtiger Neuerscheinungen und Debatten, ganz zu schweigen von den Intellektuellen-Zeitschriften mit ihren langen Texten?

Das unterscheidende Merkmal der Neugründung, die Lücke, die sie füllen will, ist auf Anhieb nicht erkennbar, und auch das Editorial der vier Herausgeber (zwei Frauen, zwei Männer) macht es einem nicht leicht, sie zu erahnen: „Was wir brauchen, ist literarisches Wissen, Mut zur Genauigkeit, vielleicht auch Schönheit, Ablenkung und Nerdiness. Texte, die ein Fenster aufmachen und – How German Is It? – mal kräftig durchlüften.“ Das hat Schwung, mit seiner Durchmischung englischer Sprachfetzen allerdings auch etwas forcierten Schwung, räumt aber nicht den Verdacht aus, dass sich auch die anderen um eben dies mühen könnten, um literarisches Wissen, Genauigkeit, Schönheit, Ablenkung und sogar ein wenig „Nerdiness“. Und umgekehrt dürfte die Zeitschrift kaum ganz ohne die „Meinung“ und die „Deutung“ auskommen können, von deren gegenwärtigem Übermaß sie sich programmatisch absetzen will.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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Aber dann macht eine der Besprechungen in der ersten Ausgabe viel deutlicher als das Editorial klar, worum es gehen könnte. „Manchmal allerdings schlummert Interessantes gerade da, wo das allgemeine Desinteresse am größten ist“: Das ist der letzte Satz von Birthe Mühlhoffs Rezension des jüngsten Buchs des Historikers Peter Brown, seiner intellektuellen Autobiographie „Journeys of the Mind“, die vergangenes Jahr bei Princeton University Press herausgekommen ist. Die Rezension zeichnet anhand des Buchs nach, wie es Brown gelang, nicht nur sein Fach, sondern die allgemein gebildete Öffentlichkeit der westlichen Welt für ein Gebiet zu interessieren, das in vielen Ländern noch nicht einmal einen Namen hatte: die Spätantike und die Frage, warum „aus einer kleinen jüdischen Sekte, die Armut predigte, innerhalb weniger Jahrhunderte die reichste und mächtigste Institution des ganzen Mittelmeerraumes wurde“. Mühlhoff stellt das Buch als ein Lehrstück darüber vor, „wie man eine interessante eigene Fragestellung entwickelt“. Und ihr gelingt dabei selbst das Kunststück, nicht nur auf das Buch und das Leben seines Autors neugierig zu machen, sondern auch auf die vielen überraschenden Fragen, die sich aus einer Beschäftigung mit dieser fremden Zeit ergeben können.

Die Positions-Abklopfer im Deutland

Die Besprechung bearbeitet also auch die Frage, wie ein Thema jenseits der gewohnten Aufmerksamkeitsschneisen Interesse finden kann – und sie führt in ihrem Medium zugleich selber vor, wie das geht. Sie schafft es tatsächlich, nicht nur das Buch, sondern auch dessen Gegenstände in unüblicher Ausführlichkeit ernst zu nehmen, obwohl diese nicht schon zuvor als relevante und dringliche Gegenstände für eine breite Öffentlichkeit anerkannt waren. Natürlich käme das Buch wegen der Prominenz seines Autors auch für eine Rezension in einer Tageszeitung infrage, doch aufgrund des begrenzten Raums, der dort zur Verfügung steht, müsste sich die Darstellung dort oft auf die Aspekte beschränken, die zur Begründung des Urteils über das Buch notwendig sind. Das ist nun die große Chance, die die Länge der Texte zum Beispiel in der „New York Review of Books“ und jetzt eben auch der „Berlin Review“ eröffnet: Sie erlaubt, zwischen den notgedrungen knapp urteilenden Rezensionen in einer Tageszeitung und den ihre Themen großzügig entfaltenden Büchern ein Bindeglied herzustellen. Sie kann auch solchen Gegenständen einen Resonanzrahmen geben, die sie zuvor nicht hatten.

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