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#Drogenkonsum soll keine Ausrede mehr sein

Drogenkonsum soll keine Ausrede mehr sein

Alle Landesjustizminister haben seit Jahren ein Problem: Der ungenau formulierte Paragraph 64 Strafgesetzbuch hat zu einer dramatischen Überlastung des Maßregelvollzugs geführt und muss novelliert werden. Der Maßregelvollzug unterscheidet sich vom Strafvollzug und betrifft sowohl psychisch kranke als auch suchtkranke Straftäter; untergebracht werden sie in psychiatrischen Krankenhäusern beziehungsweise Entziehungsanstalten.

In einigen Bundesländern mussten Patienten inzwischen vorzeitig aus Kliniken entlassen werden, um Platz für schwere Straftäter im Maßregelvollzug zu schaffen, die sich vor Gericht aufgrund einer vermeintlichen Drogenabhängigkeit dort einen Platz erstritten haben. In Baden-Württemberg fehlen etwa 120 Plätze im Maßregelvollzug; in Niedersachsen standen 2020 fast 200 Straftäter auf der Warteliste.

Eine im Oktober 2020 eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe, an der die Landesjustiz- sowie einige Landesgesundheitsminister beteiligt waren, hat jetzt einen Abschlussbericht zur Novellierung des Strafgesetzbuches vorgelegt: Vorgesehen ist eine Neuformulierung des Paragraphen 64, mit der die Voraussetzungen zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt enger gefasst werden: Die Unterbringung im Maßregelvollzug zur Absolvierung einer Drogentherapie soll künftig nur noch bei einer „Substanzkonsumstörung“ möglich sein; allein der „Hang“, berauschende Mittel im Übermaß zu genießen, soll nicht mehr ausreichen.

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Eingefügt werden soll folgende Formulierung: „Der Hang erfordert eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert“, heißt es in dem Bericht, welcher der F.A.Z. vorliegt. Außerdem soll der Aufenthalt in der Entziehungsanstalt nur dann gerichtlich angeordnet werden können, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ bestehen, dass der Straftäter hierdurch von einem „Rückfall in den Hang“ oder der Begehung abermaliger „erheblicher rechtswidriger Taten“ abgehalten werden kann.

Alles geht zurück auf eine ungenaue Definition

Die heutige Praxis des Maßregelvollzugs geht auf eine ungenaue Definition des Begriffs „Hang“ zu alkoholischen Getränken oder zu berauschenden Mitteln zurück. Sie wurde im Zuge des zweiten Strafrechtsreformgesetzes 1969 geschaffen und später durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2004 bestätigt. Der BGH fasste damals den Zusammenhang zwischen der „Anlasstat“ und dem Hang der Person, Rauschmittel im Überfluss zu konsumieren, sehr großzügig. Der Anspruch auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bestand demnach auch dann, wenn der „Hang zum Drogenmissbrauch“ nicht die alleinige Ursache der Straftat war.

Schon die Zahlen sprechen für eine Reform: Von 1995 bis 2020 ist die Anzahl der Patienten, die in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden mussten, von 1373 auf 5280 gestiegen. Zwischen 1995 und 2016 nahm die durchschnittliche Behandlungsdauer von Straftätern im Maßregelvollzug um sechs Monate zu; der Anteil der Vollschuldfähigen unter den im Maßregelvollzug Untergebrachten lag 1995 bei 20 Prozent, 2019 betrug er 70 Prozent.

Ein „Missbrauch der Entziehungsanstalten“

Zur Begründung der Novellierung heißt es nun in dem Bericht: „Weil jegliche Mitursächlichkeit des Hanges für die Anlasstat ausreicht, werden grundsätzlich auch solche Personen in den Anwendungsbereich des Paragrafen 64 einbezogen, bei denen die Delinquenz nicht überwiegend auf den Hang, sondern wesentlich auf andere Ursachen zurückzuführen ist.“ Das heißt: Drogendealer, die etwa aufgrund krimineller Neigungen und einer dissozialen Persönlichkeitsstruktur kriminell geworden sind, können nach derzeitiger Rechtslage im Maßregelvollzug untergebracht werden, selbst wenn sie nur gelegentlich Drogen konsumiert haben.

Fachleute sprechen sogar von einem „Missbrauch der Entziehungsanstalten“, dort würden „dominant auftretende Patienten“ behandelt, die außerhalb der Klinik einen Rückhalt im kriminellen Milieu hätten, deren Therapiebedarf gering sei und denen es lediglich um die Milderung ihrer Freiheitsstrafe und bessere Haftbedingungen gehe. Deshalb schlägt die Arbeitsgruppe auch vor, die Aussetzung der Strafe nicht mehr nach der Hälfte der Haftzeit zu prüfen, sondern erst nach zwei Dritteln.

Weil an den Beratungen der Arbeitsgruppe auch Vertreter der jetzigen Ampelregierungsparteien teilgenommen haben, wird in Berlin mit einer schnellen Konsensfindung gerechnet. Die FDP stellt mit Herbert Mertin in Rheinland-Pfalz den Justizminister und mit Heiner Garg in Schleswig-Holstein den Gesundheitsminister. Grüne Landesminister waren ebenfalls beteiligt. In der grünen Bundestagsfraktion heißt es, der Bericht sei eine „gute Diskussionsgrundlage“, das Problem sei offenkundig, deshalb dürften die Reformvorschläge nicht in „irgendeiner Schublade“ verschwinden. Eine Sprecherin von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte, das Ministerium werde auf der Grundlage dieser Vorschläge einen Gesetzesentwurf erarbeiten, die Vorschläge werde Buschmann in der kommenden Woche veröffentlichen und kommentieren.

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