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#Ein Experiment in Sachen Intimität

Ein Experiment in Sachen Intimität

Es war an einem Tag im November, als Katrin Schlösser an einer Straßenecke in Berlin auf einen Mann traf, den sie schon kannte. Sie ging mit Lukas Lessing etwas trinken und erklärte sich noch am selben Abend bereit, ihn zu heiraten. „Warum hast du gleich gefragt?“, will sie später einmal wissen. „War mir danach“, antwortet er. Die Angelegenheit verlangt nach Kontext. Die Liebenden kamen beide aus Beziehungen. Beide haben schon Kinder. Beide hatten einen Vorsatz: „Wir wollen unsere Liebe nicht bauen auf dem Unglück der anderen.“ Sie mussten aber feststellen, dass sie doch ganz schön viel Unglück verursacht haben. „Auch eigenes.“

Über das Verhältnis zwischen Katrin Schlösser und Lukas Lessing unterrichtet uns der Dokumentarfilm „Szenen meiner Ehe“ von Katrin Schlösser. Es ist ein ungewöhnlich freimütiges Zeugnis von allerprivatesten Dingen, bei dem allerdings nie ein Eindruck von unnötiger Indiskretion entsteht. Das Paar ist unverwechselbar, aber auch typisch. Seine Liebe ist höchstpersönlich, zeugt aber von allgemeineren Verhältnissen zwischen modernen Subjekten. „Dass du keine Inszenierung bist für mich, ist meine einzige Chance“, sagt Lukas Lessing einmal.

Authentischer geht’s gar nicht

„Szenen meiner Ehe“ kommt diese Woche vorwiegend on demand, also online „ins Kino“. Der Zeitpunkt passt gut, denn durch die Diskussionen um den Film „Lovemobil“ gibt es gerade eine erhöhte Aufmerksamkeit für die vielen Nuancen der Beobachtung von Wirklichkeit. Authentischer als Katrin Schlösser und Lukas Lessing könnte man dabei auf den ersten Blick kaum sein. Sie sind immer unter sich, die Kamera machen sie selbst, kein Filmteam versucht sich unsichtbar zu machen – mit diesem Begriff wird in der Branche gern eine diskrete Präsenz des filmischen Apparats bezeichnet. Hier ist dieser Apparat einfach ein iPhone samt Ansteckmikrofon.

Und wenn Lukas Lessing im Bett liegt und von den Symptomen erzählt, die er bekommt, während seine Frau ein Manuskript von ihm liest, dann hält er sie eben selbst fest. Das ist dann ein Kino-Selfie, das zu witzig ist, um nicht in den Film zu kommen. Manchmal steht die Kamera auch zwischen den beiden, dann sieht man sie gleichzeitig im Bild, einmal bei einer sehr ernsten Aussprache, in der es nicht mehr fair wäre, wenn das technische Instrument auf einer Seite wäre, wenn also Katrin oder Lukas gleichzeitig sprechen und filmen würden. Die Kamera wird in diesem Moment zu einer Instanz, die das Unverständnis geradezu zu besiegeln scheint: links im Bild der missmutige Mann, rechts im Bild die Frau mit Tränen im Gesicht, dazwischen ein Tisch wie eine unüberbrückbare Sperrzone. Im Hintergrund ein paar Küchengeräte wie eine in diesem Moment gänzlich unpassende Andeutung von Alltäglichkeit.

Er hat das letzte Wort, sie hat den letzten Schnitt

In vielen Fällen setzt das dokumentarische Arbeiten darauf, dass man sich im Lauf der Zeit daran gewöhnt. Ein Filmteam ist so lange präsent, bis es gleichsam dazugehört und die Menschen sich wieder so verhalten, wie sie sich ohnehin verhalten würden. Längst ist diese Hoffnung auf eine vor- oder nebenfilmische Authentizität inzwischen überformt durch eine starke Durchwirkung des Alltags mit Medieneffekten. Aufgezeichnet wird in vielen Familien alles Mögliche, Menschen leben ihr Leben mehr für soziale Netzwerke als für sich selbst, so etwas wie eine Autonomie gegenüber medialen Zugriffen wird seltener.

Katrin Schlösser ist Professorin für kreative Film- und Fernsehproduktion in Köln. „Szenen meiner Ehe“ hat also auch einen beruflichen Aspekt, so intim der Film an vielen Stellen ist. Man könnte geradezu von einem Experiment in Sachen Intimität sprechen. Es lebt auch davon, dass Lukas Lessing das Spiel mit der Kamera offensichtlich genießt. Er ist ein natürlicher Performer, vielleicht einfach kraft eines Selbstbewusstseins, das seine Frau von Beginn an an ihm geliebt hat. Das sie aber auch einsam gemacht hat in einem Moment, in dem sie sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschloss: Hätte sie ihn damals weniger „entschieden“ erlebt, hätte sie vielleicht mit ihm darüber gesprochen, und er hätte sie vielleicht sogar umstimmen können.

Lessing verordnet der Beziehung eine „Testreihe“. Er möchte sexuell etwas ausprobieren, denn er hadert damit, dass es beim Geschlechtsverkehr eine Stellung gibt, in der er immer zum Orgasmus kommt. Er hat das Gefühl, sagt er unumwunden, dass Katrin Schlösser sich seinen Samen „holt“. Sie unterbricht ihn: „Das ist mir jetzt zu privat.“ Die Szene endet aber erst danach mit einem Schnitt, womit die Autorin sich pointiert widerruft und zugleich als letzte Instanz über die Erzählung zu erkennen gibt. Er ist der Zeremonienmeister, der hinausposaunt, wenn er gerade etwas tut, was nun wirklich privat ist (er rasiert seiner Frau das Geschlecht), sie ist diejenige, die bestimmt, wer wann was filmt. Er hat das letzte Wort, sie hat den letzten Schnitt.

So eng die Beziehung ist, es gibt auch eine Außenwelt. Die Mutter von Lessing wird pflegebedürftig, damit verschärft sich die Frage, wo das Paar seinen Lebensmittelpunkt haben soll: in Berlin, wo sich Katrin Schlösser deutlich stärker beheimatet fühlt, oder im Burgenland in Südostösterreich, wo Lukas Lessing ein herrlich gelegenes Haus hat. Eine Therapeutin aus Osteuropa wird beigezogen. Es gibt Augenblicke von Albernheit, wenn Lukas Lessing mit dem Rollator seiner Mutter eine Landstraße hinunterpoltert. Seine Spontaneität wirkt glaubwürdig. Trotzdem geht es in „Szenen meiner Ehe“ nicht nur darum, ein persönliches Verhältnis so offen wie möglich zu zeigen. Es wird erkennbar, dass jede Beziehung auf Beobachtungen aufbaut, dass die dokumentarische Selbstbegleitung nur etwas strukturiert, was zum Zusammenleben sowieso gehört: eine Reflexivität, deren Überwindung vielleicht die größte Hoffnung ist, die man auf Liebe setzen kann.

Das ist dann ein Geheimnis, auf das es in den hochspannenden 90 Minuten von „Szenen meiner Ehe“ aber immerhin starke Hinweise gibt.

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