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#Vom Vergessen des Vergessens

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Vom Vergessen des Vergessens

Besucher des Schlosses Miramare bei Triest, viele auf den Spuren der Kaiserin „Sissi“, erleben beim Eintritt in Saal XX einen abrupten Stilwandel. Das bis dahin vorherrschende Habsburg-Interieur wird verdrängt durch die klaren Linien einer Art-déco-Möblierung, mit der die 1931 eingezogenen Schlossherren, Herzog Amedeo di Savoia-Aosta und seine Frau Anna von Orléans, ein Zeichen dafür setzen wollten, dass sie in der Moderne angekommen waren. Zu der gehörten Rationalität, Geschwindigkeit und Expansion. Der Herzog, der schon an den Libyen-Feldzügen Benito Mussolinis teilgenommen hatte, kommandierte in den dreißiger Jahren die Luftwaffendivision im nahegelegenen Gorizia und residierte in dem in traumhafter Lage am Golf von Triest erbauten Schloss, das sich der unglückliche Erzherzog Maximilian (1867 als Kaiser von Mexiko exekutiert) und dessen alsbald geistig umnachtete Frau Charlotte von Belgien eingerichtet hatten. 1937 wurde Herzog Amadeo Vizekönig der italienischen Kolonie Abessinien, nach der dortigen Niederlage Italiens gegen britische Truppen am Amba Alagu geriet er in Kriegsgefangenschaft und verstarb im März 1942 an Malaria und Tuberkulose in Nairobi. Wir kommen auf ihn zurück.

Ein Jahr darauf wurde Miramare von der deutschen Wehrmacht in Beschlag genommen und abermals für repräsentative Zwecke genutzt, etwa den Empfang zu „Führers Geburtstag“ am 20. April 1945, den der prominenteste Schriftsteller aus Triest, Claudio Magris, in seinem bislang letzten Roman, „Verfahren eingestellt“, in drastisch-orgiastischen Farben ausgemalt hat. Magris’ Thema ist die – wie im Titel bereits angedeutet ungesühnte – Kollaboration des Triester Bürgertums mit den Nazis, die im Süden der Stadt in einer ehemaligen Reismühle ein „Polizeihaftlager“ in Betrieb genommen hatten. Lagerkommandant dieser Risiera di San Sabba wurde der aus Trist stammende Höhere SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik, der zuvor im Vernichtungslager Treblinka gewütet hatte. Er gehört im Roman zum Personal der gespenstischen Feier kurz vor Kriegs­ende. In der Risiera, heute eine Gedenkstätte und Gegenstand weiterer Romane (so etwa Thomas Harlans obsessivem „Heldenfriedhof“ von 2006 oder Mathias Enards atemlosem „Zone“ von 2010), wurden Partisanen und Widerstandskämpfer gefoltert und ermordet, Juden zur Deportation in die Vernichtungslager zusammengetrieben und Raubgüter gelagert.

Der Tod liegt in der Luft

Der frühere Trockenofen der Reismühle wurde vom Konstrukteur der Krematorien in Treblinka und Sobibor zu einem Krematorium umgebaut, das an einen vierzig Meter hohen Schornstein angeschlossen war. Der penetrante Leichengeruch über Triest spielt eine wichtige Rolle in Magris’ Roman, der historische Begebenheiten mit fiktiven Elementen vermischt. Roter Faden im Buch ist der Versuch eines Sammlers, die nach dem Krieg übertünchten Wandkritzeleien von Inhaftierten an den Zellenwänden der Risiera zu rekonstruieren. Mit diesem gescheiterten Vorhaben beschäftigt sich Luisa Brooks, die als Kuratorin ein (in Triest tatsächlich gebautes) Antikriegsmuseum ausstatten soll.

Claudio Magris beschäft sich in seinem Buch mit der Verbindung zwischen Holocaust und kolonialen Genoziden.


Claudio Magris beschäft sich in seinem Buch mit der Verbindung zwischen Holocaust und kolonialen Genoziden.
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Bild: Frank Röth

Im Licht der gerade geführten Debatte um Gemeinsamkeiten von und Unterschiede zwischen Holocaust und kolonialen Genoziden ist es interessant, wie Claudio Magris, der herausragende Geschichtsschreiber nicht nur Triests, sondern ganz Mitteleuropas, diese Verbindung in seinem 2015 erschienenen Buch herstellt. Als Seitenstrang neben Luisa Brooks’ Geschichte wird von der ihr namensverwandten Luisa de Navarette erzählt, einer historischen Figur aus Puerto Rico im sechzehnten Jahrhundert, die als ehemalige Sklavin mit einem Weißen verheiratet war und der Hexerei beschuldigt wurde, dank ihrer Intelligenz jedoch der Inquisition entging. Luisa Brooks wiederum ist die erfundene Tochter der Jüdin Sara, die als junges Mädchen ihre Mutter in der Risiera verloren hat, und eines schwarzen Sergeanten der US Army, den Sara als Übersetzerin im Hauptquartier der Alliierten kennengelernt hatte. Magris hat sie so beschrieben: „Sie ist das Ergebnis zweier Exile, des jüdischen und des schwarzen – zweier Menschen, die die Wüste zu durchqueren und das Meer zu überqueren hatten, denen nicht möglich war, die Lieder von Zion in einem fremden Land zu singen, sie aber trotz allem gesungen haben.“

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