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#Eine Regierung wie ein Bulldozer

„Eine Regierung wie ein Bulldozer“

Kurz nach Mitternacht wurde in Israel in erster Lesung die Demokratie abgeschafft. So sehen es die Gegner der Justizreform, deren erste Teile am frühen Dienstagmorgen die Knesset passierten. Die Befürworter behaupten das Gegenteil: Die Reform befreie das Land aus dem Griff einer politisierten Richterschaft und bringe die Demokratie erst zurück. Den Anführern des Protests werfen sie vor, die Mehrheitsverhältnisse zu missachten.

Einer aktuellen Umfrage des Israel Democracy Institute zufolge lehnen allerdings mehr als 60 Prozent der Israelis die Pläne ab, die auf eine Politisierung der Richterwahl und eine Schwächung des Obersten Gerichts abzielen. Zehntausende gehen seit Wochen auf die Straße; und es ist nicht zu erwarten, dass der Protest abflaut.

Ziehen High-Tech-Unternehmen weg?

Die Stimmung ist aufgewühlt. Man trifft Israelis, die sich von der eigenen Regierung bedroht fühlen und davon reden, wegzuziehen oder ihr Kapital ins Ausland zu bringen. Der Protest ist beträchtlich und dürfte auch Netanjahu überrascht haben. Der Ministerpräsident befürchtet vor allem, dass Israels Wirtschaftskraft unter schlechter Presse leiden könnte – einige Hightechunternehmen haben schon verkündet, sie würden aus Protest das Land verlassen.

Man muss nicht gleich den Teufel an die Wand malen – Israel wird nicht so rasch zusammenbrechen. Aber die größte innenpolitische Krise seit vielen Jahren legt schonungslos Bruchlinien offen. Der Großteil der Israelis steht politisch eher rechts. Weil Netanjahu auch für viele von ihnen ein rotes Tuch ist, standen sich in den vergangenen Jahren aber zwei gleich große Lager gegenüber. Eine Regierungsbildung war nur möglich, indem Netanjahu sich mit den radikalsten Kräften des religiösen und rechten Spektrums zusammentat.

Das Ergebnis ist eine Koalition, in der ein ungehemmter Machtwille herrscht. Aus praktisch allen einschlägigen Äußerungen von Justizminister Levin und dem Justizausschuss-Vorsitzenden Rothman spricht die Vorstellung, dass korrupte Eliten das Land beherrschten und dass der Wille der Mehrheit der einzige Maßstab sei. Und die Mehrheit wolle die Reform.

Letzteres stimmt, wie gesagt, nicht einmal. Die Vorbehalte, die sich im „zweiten Israel“ der vor allem aus nahöstlichen Ländern stammenden misrachischen Juden gegenüber dem „ersten Israel“ der europäischstämmigen Aschkenasen halten, wiederum beruhen durchaus auf Tatsachen. Denn die später eingewanderten und ärmeren Misrachim wurden jahrzehntelang diskriminiert. So war auch die Richterschaft in Israel lange Zeit wenig divers: Mehr als die Hälfte aller Richter am Obersten Gericht waren säkulare aschkenasische Männer. Das hat sich indessen zu ändern begonnen.

Auch die restliche Kritik an der angeblichen „Herrschaft der Richter“ hält in ihrer Pauschalität einer Überprüfung nicht stand. Die Reformbefürworter behaupten, dass die geplanten Änderungen doch nur Verfahren einführten, die etwa in Kanada, Neuseeland oder Großbritannien selbstverständlich seien. Fachleute aus diesen Ländern selbst haben diese Vergleiche inzwischen als irreführend kritisiert.

Das Bild ist eindeutig

Der überwiegende Teil der israelischen Rechtsexperten weist währenddessen die Behauptung zurück, dass der Regierung und dem Parlament gegenwärtig übermäßige Schranken auferlegt würden. Zugleich stimmen viele der Ansicht zu, dass man über Reformen in dem System nachdenken sollte, in dem manche Verfahren und Kompetenzen nicht klar geregelt waren und daher vom Obersten Gericht geprägt wurden. Es gibt auch Vorschläge, den stecken gebliebenen Prozess wiederzubeleben, Israel eine förmliche Verfassung zu geben.

Die Reformvorschläge der Regierung sind dazu nicht geeignet. Selbst in Anbetracht mancher möglicher Unklarheit darf man die zahlreichen geplanten Elemente der Justizreform nicht isoliert betrachten. Das große Bild ist eindeutig: Die Netanjahu-Regierung versucht, das Feld der Gewaltenteilung in Israel mit dem Bulldozer zu planieren. Das Ergebnis wäre eine praktisch schrankenlose Herrschaft der jeweils amtierenden Regierungskoalition. Anders als etwa im Fall Ungarns oder Polens gibt es nicht einmal überstaatliche Institutionen wie diejenigen der EU, die noch als Zügel dienen könnten.

Auf die gegenwärtige Regierung bezogen, in der radikale Siedler und religiöse Fanatiker vertreten sind, wäre Netanjahu der einzige moderierende Faktor. Die ungewöhnliche und deutlich geäußerte Kritik von befreundeten Ländern wie den USA oder Frankreich dürfte nicht spurlos an ihm vorübergehen. Dennoch ist seine Dialogbereitschaft vorgetäuscht, solange sein Korruptionsprozess weiterläuft. Erst ein Netanjahu, dem keine Gefängnisstrafe mehr droht, wird bereit sein, den Bulldozer anzuhalten.

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