Nachrichten

#EuGH und BGH sind sich weiter uneins

EuGH und BGH sind sich weiter uneins

Das Stinkbömbchen aus Luxemburg war gut versteckt, für Naserümpfen in Karlsruhe dürfte es dennoch gesorgt haben. Ausgerechnet in einer Stellungnahme zur umstrittenen Justizreform in Polen brachte Evgeni Tanchev, bulgarischer Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), in vier Absätzen bemerkenswerte Aussagen zum umstrittenen EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts unter. Karlsruhe hatte im Mai gerügt, die Europäische Zentralbank habe ihr Programm zum Ankauf von Staatsanleihen (Public Sector Purchase Programme, PSPP) nicht auf seine Verhältnismäßigkeit geprüft, und der EuGH habe sie in einem Urteil 2018 auf nicht mehr nachvollziehbare Weise gewähren lassen. Das haben die deutschen Verfassungsrichter als „ausbrechenden Rechtsakt“ (ultra vires) gewertet, Deutschland müsse sich deshalb nicht daran halten. Der EuGH ließ schon damals in einer ungewöhnlichen Pressemitteilung durchblicken, was er von diesem rebellischen Akt der Karlsruher Richterkollegen hält: Das letzte Wort hat Luxemburg, stellte er klar.

Corinna Budras

Werner Mussler

Tanchev bekräftigt das nun ohne wirklichen Anlass. Europäisches Recht sei kein „ausländisches Recht“, sondern gelte in der gesamten EU und breche nationales Recht, schreibt er. Die Karlsruher Ultra-Vires-Doktrin unterminiere die Herrschaft des Rechts in der EU. Das Bundesverfassungsgericht könne über Kompetenzstreitigkeiten nicht so urteilen, wie es dies in der PSPP-Entscheidung getan habe. „Die EU-Verträge erlauben es keinem nationalen Gericht, sich über ein Urteil des EuGH hinwegzusetzen.“

EU-Kommission müsste Verfahren einleiten

Wenn ein nationales Gericht der Meinung sei, dass das EU-Recht der nationalen Rechtsordnung widerspreche, könne es seiner Regierung dreierlei auferlegen, um Abhilfe zu schaffen. Entweder könne diese die nationale Verfassung ändern oder über den „politischen Prozess in der EU“ auf eine Vertragsänderung dringen – „oder, falls notwendig, aus der Union austreten“. Starker Tobak. Freilich bleibt offen, welche unmittelbaren Folgen die Notiz des Bulgaren hat. Bisher wird über das Karlsruher Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Luxemburg nicht verhandelt. Die Voraussetzung dafür wäre, dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitet. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte dies schnell nach dem Urteil angekündigt. Geschehen ist wenig. Ein Kommissionssprecher sagte am Freitag nur, man sei mit der deutschen Seite in Kontakt und habe noch keine Entscheidung getroffen. Ergänzend heißt es in der Behörde, die „Erwägung“ laufe noch.

Schwierig ist diese Erwägung offenbar, weil der Konflikt über das PSPP-Programm in Deutschland mittlerweile entschärft ist. Die EZB hat im Sommer dargelegt, dass sie die Vorteile und Nachteile des Programms ausreichend abgewogen habe. Manche Juristen glauben deshalb, dass damit die Geschäftsgrundlage für eine Brüsseler Klage in Luxemburg entfallen ist. Sie argumentieren, ein Vertragsverletzungsverfahren allein aufgrund eines Urteils sei nicht möglich. Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold, dem von der Leyen die Verfahrenseröffnung versprochen hatte, ist anderer Meinung. Solange das Bundesverfassungsgericht seine Ultra-Vires-Doktrin aufrechterhalte, bestehe der Grundsatzkonflikt um das Rechtsstaatsprinzip fort. „Wenn das jedes nationale Gericht macht, kommen lustige Zeiten auf uns zu.“

Deutschland in Brüssels Visier

Es ist wohl in der Tat kein Zufall, dass Tanchev seine Aussagen ausgerechnet in seiner Stellungnahme zur Berufung polnischer Richter untergebracht hat. Unter deutschen Juristen und Politikern wird schon länger diskutiert, ob auch Deutschland ins Brüsseler Visier geraten könnte. Der Berliner Jurist Matthias Ruffert erwartet das nicht, weil keine „systemische Verletzung des Rechtsstaatsprinzips“ vorliege. Der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Heribert Hirte (CDU), ist sich da mit Blick auf die Äußerungen des Generalanwalts nicht so sicher. Er sagt: „Tanchevs Worte haben Gewicht, auch wenn die Ausführungen noch nicht Teil eines Urteils des EuGH sind.“ Giegold hält eine Klärung auch deshalb für erforderlich, weil in Karlsruhe neue Verfahren gegen das Vorgehen der EZB absehbar seien.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!