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#Frankreichs „erdrückende Verantwortung“

Frankreichs „erdrückende Verantwortung“

An dem Völkermord in Ruanda 1994 trage Frankreich eine „schwere und erdrückende Verantwortung“, auch wenn der Staatsführung in Paris keine „Mittäterschaft“ nachgewiesen werden könne. Zu diesem Schluss kommt die von Präsident Emmanuel Macron eingesetzte Historikerkommission, der erstmals Einblick in bislang unter Staatsgeheimnis stehende Akten gewährt wurde. Mehr als 8000 Dokumente hat die Kommission unter Leitung des Historikers Vincent Duclert ausgewertet, mit der Ausnahme der persönlichen Archive Präsident François Mitterrands. In dem mehr als 1000 Seiten umfassenden Bericht halten die Historiker der französischen Führungsriege in Paris „Blindheit“ und „Versagen“ vor.

Michaela Wiegel

In Ruanda hatten Angehörige der Volksgruppe der Hutu von April bis Juli 1994 mindestens 800.000 Menschen getötet. Die meisten Opfer waren Angehörige der Minderheit der Tutsi, aber auch gemäßigte Hutu wurden getötet. Viele der Täter waren Staatsbedienstete, etwa Angehörige von Armee oder Polizei.

Die Historikerkommission untersuchte den Zeitraum von 1990 bis 1994. Zunächst leistete Frankreich nur bilaterale Hilfe, unter anderem mit Waffenlieferungen an das Regime in Kigali. Nach einem UN-Beschluss entsandte die französische Regierung vom 23. Juni 1994 Soldaten zu einer humanitären Militärintervention nach Ruanda. Im Rahmen der „Opération Turquoise“ sollten sie eine Schutzzone einrichten, um Zivilisten Sicherheit und Hilfe zu gewähren. Oft verhalfen sie jedoch den Tätern des Genozids zur Flucht in benachbarte Länder.

„Bedingungslose Unterstützung“ für ein rassistisches Regime

Die Historiker zeichnen in dem Bericht nach, wie das vom sozialistischen Präsidenten Mitterrand seit dem Afrika-Gipfel in La Baule 1990 verfolgte Ziel, Entwicklungshilfe an Demokratisierungsfortschritte zu knüpfen, sich in Ruanda ins Gegenteil verkehrte. Je länger der Präsident sich geweigert habe, das Scheitern seines Ziels einzugestehen, umso tiefer habe er sich in eine „bedingungslose Unterstützung“ für ein „rassistisches, korruptes und gewalttätiges Regime“ verstrickt, heißt es in dem Bericht. Die ruandische Krise sei „eine Niederlage für Frankreich“. Der Verdacht, dass Frankreich „mitschuldig“ am Völkermord sei, lasse sich jedoch nicht erhärten, urteilt die Kommission.

„Hat Frankreich sich der Mittäterschaft am Völkermord an den Tutsi schuldig gemacht? Wenn man darunter den Willen versteht, sich am Völkermord zu beteiligen, dann findet man dazu nichts in den Archiven, was dies belegt“, schreiben die Historiker. „Frankreich hat die Mörder nicht bewaffnet, ihnen keine Anweisung gegeben, Tutsi zu verfolgen. Frankreich ist also nicht mitschuldig.“ Aber Frankreichs Politik habe dazu geführt, dass sich das Regime von Präsident Juvénal Habyarimana derart radikalisieren konnte. Unmittelbar nachdem Habyarimana durch einen Raketenangriff auf das Präsidentenflugzeug am 6. April 1994 ums Leben gekommen war, begann der Völkermord in Ruanda.

„Frankreich hat überhaupt nicht verstanden, was in Ruanda vor sich ging. Und das allein ist schon sehr schlimm“, heißt es weiter. In Paris sei man „blind“ geblieben und habe alle Anzeichen zur Vorbereitung des Völkermords übersehen. Die Staatsführung in Paris sei in einem „binären Schema“ gefangen gewesen, das auf der einen Seite den „Freund“ Präsident Habyarimana und auf der anderen den Gegner, die von den Tutsi begründete Patriotische Front Ruandas (FRP), ausmachte.

Ein System ohne effektive Gegengewalten

Die Historiker üben scharfe Kritik an dem System der V. Republik, das dem Präsidenten beinahe uneingeschränkte Entscheidungsgewalt bei Auslandseinsätzen der Armee wie auch in der Außenpolitik einräumt. Im Fall Ruandas habe Mitterrand seinen persönlichen Generalstab instrumentalisiert, um am Generalstabschef der Armee vorbei seine Entscheidungen durchzusetzen. „Auf Warnungen von Ministern, Parlamentariern, Spitzenbeamten und Intellektuellen wurde mit Indifferenz, Abwehr oder Unwillen geantwortet“, schreiben die Historiker.

Frankreichs Rolle im Völkermord zeige „das Versagen öffentlicher Koordination“ und „den Mangel an effektiven Gegengewalten“ im französischen Staatswesen. Institutionen mit anderen Positionen seien einfach „marginalisiert“ worden. Präsident Macron, der die Historikergruppe vor zwei Jahren mit den Untersuchungen beauftragt hatte, lobte die Forschungsfortschritte, die eine Etappe auf dem Weg zur Versöhnung darstellten. Der Bericht werde auch den ruandischen Verantwortlichen zur Verfügung gestellt.

Nicht erwähnt wurde von Macron die Rolle des früheren Generalsekretärs im Elysée-Palast, Hubert Védrine, der im Bericht belastet wird. Védrine sagte, der Bericht sei „ehrlich“, insofern er jegliche Mittäterschaft Frankreichs ausschließe. Der Bericht sei jedoch in anderer Hinsicht zu kritisch. „Frankreich war kein blinder Freund“ des ruandischen Präsidenten, sagte er. Bernard Kouchner, der von 1992 bis 1993 Minister für Gesundheit und humanitäre Einsätze war, sagte: „Der Bericht bringt ein wenig Wahrheit zum immensen politischen Fehler ans Licht.“ Aber dass dies erst 26 Jahre später erfolge, sei blamabel.

Für den Verein „Survie“, der seit Jahren an der Aufklärung des Völkermords arbeitet, bildet der Historikerbericht einen Rückschritt. Jede Zeile zeuge von dem Wunsch, den französischen Staat von der Mittäterschaft freizusprechen. Deshalb werde die These der „Blindheit“ und des „Versagens“ aufgestellt, dabei hätten die Verantwortlichen genau gewusst, was sie taten und entschieden, äußerte ein Sprecher des Vereins. Die Mittäterschaft der französischen Staatsführung sei „leider schon gut dokumentiert“.

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