Wissenschaft

#Geheimnis radioaktiver Wildschweine aufgeklärt

Bis heute ist das Fleisch von Wildschweinen mitunter so stark radioaktiv belastet, dass es nicht verzehrt werden darf. Dabei müsste die Belastung seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl allein durch den natürlichen radioaktiven Zerfall inzwischen deutlich geringer sein. Forschende sind diesem „Wildschein-Paradoxon“ nun auf den Grund gegangen. Demnach stammt ein großer Teil der im Wildschweinfleisch festgestellten Radioaktivität aus Atomwaffentests der 1940er und 50er Jahre. Schuld ist vermutlich eine bei den Wildschweinen beliebte Trüffelart, die das radioaktive Cäsium-137 einlagert.

Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl im April 1986 sorgte der radioaktive Fallout dafür, dass das radioaktive Isotop Caesium-137 in die Umwelt gelangte und sich unter anderem in Pilzen und Wildfleisch anreicherte. Jahrelang wurde daher vom Verzehr dieser Lebensmittel abgeraten. Während die Belastung in Hasen, Rehen und Co. längst auf ungefährliche Werte zurückgegangen ist, haben Wildschweine die Wissenschaft bislang vor Rätsel gestellt: Denn ihr Fleisch weist nach wie vor teilweise bedenkliche Strahlungswerte auf, die deutlich höher sind, als angesichts des natürlichen radioaktiven Zerfalls und der Verdünnung in der Umwelt zu erwarten wäre.

Dem Paradoxon auf der Spur

„Entscheidend für die Radioaktivität der Proben ist Cäsium-137, mit einer Halbwertszeit von rund 30 Jahren“, erklärt Georg Steinhauser von der TU Wien. Mehr als 30 Jahre nach Tschernobyl müsste die Belastung also mindestens um die Hälfte zurückgegangen sein. „Seit 1986 haben sich die Werte im Wildschweinfleisch aber nicht signifikant verringert.“ Diesem Phänomen, dem sogenannten „Wildschwein-Paradoxon“, ist er nun gemeinsam mit einem Team um Erstautor Felix Stäger von der Leibniz Universität Hannover auf den Grund gegangen. Dazu analysierten die Forschenden über zwei Jahre hinweg zahlreiche Proben von Wildschweinfleisch, die ihnen der bayerische Jagdverband zur Verfügung stellte. „Einige der von uns getesteten Proben überschritten den gesetzlichen Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm Fleisch um das bis zu 25-Fache“, berichtet das Team.

Auf der Suche nach der Ursache untersuchten Stäger und sein Team, aus welcher Quelle die Radioaktivität im Wildschweinfleisch stammt. „Das ist möglich, weil unterschiedliche Quellen radioaktiver Isotope jeweils einen unterschiedlichen physikalischen Fingerabdruck haben“, erklärt Stängers Kollege Bin Feng. „So wird etwa nicht nur Cäsium-137 freigesetzt, sondern gleichzeitig auch Cäsium-135, ein Cäsium-Isotop mit deutlich längerer Halbwertszeit.“ Je nach Verhältnis dieser beiden Isotope lässt sich bestimmen, ob die Radioaktivität aus einem Kernkraftwerk oder von der Explosion einer Atombombe stammt.

Nachwirkungen des Kalten Krieges

Das Ergebnis: „Obwohl allgemein angenommen wird, dass Tschernobyl die Hauptquelle für Cäsium-137 in Wildschweinen ist, stellen wir fest, dass ‚altes‘ Cäsium-137 aus Waffenfallout erheblich zum Gesamtgehalt beiträgt“, berichtet das Team. Demnach stammen bis zu 68 Prozent der Belastung in einigen Proben aus Atomwaffentests der 1940er und 50er Jahre. „In einigen Fällen genügte allein das Waffen-Cäsium-137 für die Überschreitung des Grenzwertes“, schreiben Stäger und sein Team.

Doch wie kann ein radioaktives Isotop, das vor bis zu 80 Jahren bei Waffentests während des Kalten Krieges freigesetzt wurde, noch heute eine so deutliche Belastung verursachen? Die Antwort liegt den Forschenden zufolge wahrscheinlich bei einem unscheinbaren Pilz, den die Wildschweine tief aus dem Boden wühlen, um ihn zu verzehren: der Hirschtrüffel. Dieser für Menschen wenig schmackhafte, dafür aber bei Wildschweinen beliebte Pilz lagert das radioaktive Cäsium aus seiner Umgebung ein.

Belastung für weitere Jahrzehnte

Bis das Cäsium nach einem Fallout allerdings erst einmal beim Pilz angekommen ist, dauert es Jahrzehnte. „Das Cäsium wandert sehr langsam durch den Boden nach unten, manchmal nur rund einen Millimeter pro Jahr“, erklärt Steinhauser. „Die Hirschtrüffeln, die in 20 bis 40 Zentimeter Tiefe zu finden sind, nehmen somit heute erst das Cäsium auf, das in Tschernobyl freigesetzt wurde. Das Cäsium alter Atomwaffentests hingegen ist dort schon lange angekommen.“ Auch im Boden und in den Hirschtrüffeln zerfällt das Cäsium-137 natürlich im Laufe der Jahre. Doch da immer wieder neues radioaktives Material von oben nachsickert, ist die Belastung bislang weitgehend konstant geblieben.

Die Hirschtrüffel selbst hat das Forschungsteam bisher noch nicht untersucht. Um die Hypothese zu belegen, sollen entsprechende Analysen folgen. Sollte sich die Vermutung bestätigen, ist das Wildschein-Paradoxon gelöst – und da die Aufnahme des Cäsium-137 aus Tschernobyl gerade erst begonnen hat, ist zu erwarten, dass die Wildschweine noch über viele weitere Jahre hinweg radioaktiv belastet sein werden.

Quelle: Felix Stäger (Leibniz Universität Hannover) et al., Environmental Science & Technology, doi: 10.1021/acs.est.3c03565

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