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#Diese Scherben bringen Unglück

Diese Scherben bringen Unglück

Wie viel Platz braucht ein Mensch zum Ausruhen? Die meisten wären wohl mit einem Stuhl zufrieden, manche würden für einen zweiten plädieren, um die Füße darauf zu legen, aber der Dorfrichter Adam im Deutschen Theater Berlin gestattet sich in Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ gleich drei: Um besitzergreifend seine langen, sehnigen Arme auf deren Lehnen ausstrecken zu können, als gehörte ihm der ganze Gerichtswartesaal, in dem sie, vierzehn an der Zahl, nebeneinander aufgereiht sind, oder das ganze Gericht, dem er vorsteht, oder die ganze Welt, in der Männer wie er das Kommando geben.

Seine Egozentrik stört es kein bisschen, dass er hier in Unterhemd und Jogginghose und mit dicken Woll­socken herumlungert, blutige Wunden am Kopf hat und leicht belämmert vor sich hin grinst, als habe er gerade ein Abenteuer bestanden, dabei ordentlich eins über die Rübe bekommen, was ihn königlich amüsiert. Noch dieser hinterletzte Provinzkadi in seinem niederländischen Kaff fühlt sich als „Master of the Universe“, wie Tom Wolfe einst die Kerle nannte, die sich in ihrer toxischen Männlichkeit mit brutal eroberten Privilegien schmückten. Auch als er später die rote Richterrobe angezogen hat, zeigt Ulrich Matthes diesen Adam ohne Würde, nur voller Hochmut, ohne Ehre, nur voller Anmaßung: Verschlagen, ausgebufft, übergriffig. Ein Typ, mit dem man trotz seiner demonstra­tiven Leutseligkeit besser nicht an­einandergeraten sollte.

Esprit und Emotionalität

Doch dann reist überraschend der strenge Gerichtsrat Walter an, um die lokale Rechtspflege zu überprüfen, und Adam muss sich irgendwie durch die Kontrolle schwindeln. In der Inszenierung von Anne Lenk ist aus diesem Revisor eine schwangere Gerichts­rätin geworden, was für die Handlung indes ohne Konsequenzen bleibt. Frau Walter schaut dem Dorfrichter bei einem Prozess auf die Finger, in dem es um den kostbaren Krug der Marthe Rull geht, der in der vorigen Nacht in Scherben zerbrach, als ein ertappter Besucher aus dem Schlafzimmer ihrer ledigen Tochter Eve floh. Die Mutter be­schuldigt deren Verlobten Ruprecht, der energisch protestiert, denn es war der Dorfrichter persönlich, der die junge Frau erpresst, um sie ins Bett zu kriegen, was natürlich niemand wissen darf. Und so muss der über sich selbst Gericht halten und sich winden und wenden, um seinen Kopf aus der Schlinge zu kriegen, was immer närrischer, bizarrer, verstiegener wird.

Modisch in den siebziger Jahren hängengeblieben: Ulrich Matthes und Jeremy Mockridge


Modisch in den siebziger Jahren hängengeblieben: Ulrich Matthes und Jeremy Mockridge
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Bild: Arno Declair

Die Bühnenbildnerin Judith Oswald hat die Rückwand der schäbigen Amts­stube mit einem wandhohen Prunkstillleben von Jan Davidsz. de Heem etwa aus dem Jahr 1655 abgeschlossen, auf dem eine überquellende Tafel mit Früchten, Schinken, Austern zu sehen ist, in der Mitte thront ein Papagei. Dieser Verweis auf die koloniale Vergangenheit der Niederlande wird auch für die Herkunft des Kruges genutzt, der jetzt als „Zeugnis afrikanischer Handwerkskunst“ gilt, „ur­sprünglich aus dem Volke der Herero“ und von einem ihrer Vorfahren „bei der Eroberung Namibias“ geraubt (wo die Niederländer allerdings nie Kolonien hatten). Diese Aktualisierung aus­­genommen, vertrauen die Regisseurin Anne Lenk und ihr bestens harmonierendes, schön abgestimmtes En­semble mit geduldiger Konzentration neunzig Minuten lang Kleists Text, dem sie auf diese Weise viel Komik und Wortwitz, Esprit und Emotionalität ablauschen.

Rassige Schlagzeugeinlagen

Die von Sibylle Wallum entwor­fenen Kostüme sind farblich in Orangen­tönen und stilistisch in den Siebzigerjahren unterwegs, mit dazu passenden Perücken und Schminke. Alles mutet gediegen bis gefällig an, ohne seicht zu werden. Die muntere Inszenierung ist zwar nicht besonders tiefgründig, je­doch wohltuend am Stück orientiert. Sie ist mehr unterhaltsam als kontem­plativ, wobei sie sich traut, den Figuren und ihren Problemen zu folgen, ohne sie ironisch zu übermalen oder performativ aufzubrechen. Dem solcherart herausgeforderten Ensemble scheint das ziemlichen Spaß zu machen, ob Lisa Hrdina als barschem Mauerblümchen von einer Eve, die aus Erfahrung weiß, was politische Gewalt und se­xueller Missbrauch bedeuten, oder ob Franziska Machens als ihre hinreißend zickige Mutter, die resolut auf ihrem Recht beharrt. Jeremy Mockridge gibt den ehrgeizig-tüchtigen Schreiber Licht, der Adams Intrigen längst durchschaut hat, wie es überdies bald Lorena Handschin als Gerichtsrätin tut. Tamer Tahan poltert eifersüchtig als Eves Verlobter Ruprecht herum, während Julia Windischbauer als die Zeugin Brigitte wie ein cleveres Power-Girlie die Spur zum wahren Krug-Zerstörer aufdeckt.

Rassige Schlagzeugeinlagen von Lenny Mockridge trennen die Szenen, dabei wird es völlig finster. Diese harte Schnitttechnik verleiht der Aufführung eine zusätzliche dramatische Dynamik und reißt die Geschichte mit ihrer erotisch aufgeladenen Dialektik aus Macht und Ohnmacht immer wieder neu auf. Den korrupten Dorfrichter kostet das alles bloß ein abschätziges Lächeln, das freilich zunehmend verkrampfter wird – bis ihn die Umstände schließlich hurtig abhauen lassen, nicht ohne dass er noch schnell ein heiseres „Verzeiht!“ in die Runde schickt. Warum? Wofür? Aus Reue? Berechnung? Anstand? Anne Lenks Inszenierung verrät es nicht, weiß es vielleicht selbst nicht, aber Berlin liebt Ulrich Matthes, deshalb viel Jubel und Ap­plaus, auch von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel im Parkett, gute Laune allenthalben.

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