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#Glücksmoment um 2:25 Uhr

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„Glücksmoment um 2:25 Uhr“

Das Lebenswerk von Sascha Wiederhold umfasst sechs Jahre und einen Epilog. 1924, mit zweiundzwanzig, geht Wiederhold aus Düsseldorf nach Berlin, um Malerei zu studieren. Im Juli fliegt er von der Kunstakademie, weil er in einer leer stehenden Dienstwohnung übernachtet hat, aber schon ein Jahr später hat er seine erste Einzelausstellung in Herwarth Waldens Sturm-Galerie in der Potsdamer Straße. Im Herbst 1927 hängen seine Bilder neben denen anderer Sturm-Künstler in New York, dazu kommen Ausstellungen in Magdeburg und abermals Berlin. 1929 geht Wiederhold als Chefbühnenbildner ans Stadttheater im ostpreußischen Tilsit. Im Jahr darauf verliert er seine Anstellung, mittellos kehrt er in die Hauptstadt zurück. Nach 1930 datieren keine Gemälde mehr von ihm, das letzte erhaltene ist ein Plakatentwurf für einen Kostümball, den Walden veranstaltet, um seine Galerie vor dem Bankrott zu retten. Der Ball wird ein Misserfolg.

Und Wiederhold zieht sich zurück. Die Nazis kommen an die Macht, Wiederhold wird unsichtbar. Fünf Jahre lang verliert sich seine Spur, dann be­ginnt er eine Ausbildung zum Buchhandelsgehilfen in ei­nem kurz vorher arisierten Buchladen am Bayerischen Platz. Bei Kriegsbeginn tritt er in die Ge­schäfts­füh­rung ein, in der Endphase des Krieges wird er eingezogen und gerät in britische Gefangenschaft. Dort, im Lager, malt er noch einmal mit Bunt- und Bleistiften Figurinen auf Pa­pier: Frauengestalten aus blauen, ro­ten, gelben und schwarzen, gepunkteten und monochromen Flächen, Tänzerinnen mit zylindrischen Köpfen und bestrumpften Beinen, Phantasiewesen aus einer geordneten Welt. Nach Wiederholds Freilassung endet die Serie. 1951 eröffnet er eine eigene Buchhandlung, 1962 stirbt er an einem Herzleiden. Kurz vor seinem Tod erscheint ein Bericht über ihn in einer „Berliner Zeitung“. Er sei, heißt es darin, „ein bescheidener, in Vergessenheit geratener Maler der zwanziger Jahre“.

Wiederentdeckt in der Neuen Nationalgalerie: Wiederholds „Bogenschützen“ von 1928





Bilderstrecke



Eine Welt im Formenrausch
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Die kurze Karriere des Malers Sascha Wiederhold

Die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum ist die zweite Wiederentdeckung des Malers Sascha Wiederhold. Die erste fand vor knapp fünfzig Jahren im Kunstamt Wedding statt, und von damals stammt auch die Werkliste, auf die sich der Kurator Dieter Scholz bei seiner Neupräsentation im Mies-van-der-Rohe-Bau stützen konnte. Doch die Schau im Wedding blieb folgenlos, der Maler ein Vergessener des Kunstbetriebs. Erst die Eröffnung des Mies-Baus nach sechsjähriger Sa­nie­rung im Sommer 2021 holte den Namen Wiederhold ins öffentliche Be­wusstsein zurück.

Denn links neben dem Eingang zur neuen Hauptausstellung „Die Kunst der Gesellschaft“ hängt seither sein Großformat „Bogenschützen“ von 1928. Auf den ersten Blick zeigt das Gemälde ein vielfarbig leuchtendes Puzzle geometrischer Formen. Sieht man näher hin, er­kennt man vier Reiter auf Pferden, die mit ihren Pfeilen auf ein am Boden liegendes waidwundes Tier zielen. Aber das Erkennen erschöpft sich nicht im Aufspüren des Motivs, es bezieht auch die Halbkreisform der Bögen ein, die sich in der Fläche des Bildes vervielfacht, und die Körper der Pferde, die mitten im panischen Ga­lopp zu Kreis- und Rechteckmustern er­starrt scheinen. Alles ist Or­nament in dieser Szene, und zugleich weist alles über das Ornament hinaus. Die Ge­walt, die das Bild ausstrahlt, ist von seiner Verspieltheit nicht zu trennen. Es abstrahiert nicht von der Wirklichkeit, sondern verwirklicht die Abstraktion. Deshalb hat Wiederhold, anders als seine Vorbilder Rodtschenko und Kandinsky, auch keine losen Gebilde in den Raum gestellt, sondern jeden Quadratzentimeter Papier mit Öl, Tempera und Goldbronze penibel ausgemalt. Seine Kunst ist lückenlos, sein Raum ohne Tiefe. Doch in der Untiefe der Räume spürt man die Unruhe der Zeit.

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