#Haben Polen und Ungarn nichts mehr zu befürchten?
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„Haben Polen und Ungarn nichts mehr zu befürchten?“
Ihr sei ein Stein vom Herzen gefallen, sagte Angela Merkel, als sie am Freitagmorgen nach einem weiteren Marathon-Gipfel vor die Kameras trat und dabei ganz ausgeruht wirkte. Die Staats- und Regierungschefs hatten kurzerhand den Schlaf zwischen beiden Sitzungstagen gestrichen. Am Ende standen sie mit einer Einigung zum Haushalt und zum Klimaschutz da. Auch die Regierungschefs von Ungarn und Polen jubelten. „Wir können nun den Champagner kalt stellen“, hatte Viktor Orbán gleich nach der Einigung im Streit um Recht und Geld in einem Video verkündet. Mateusz Morawiecki sprach von einem „doppelten Sieg“. Beide Länder würden nun 173 Milliarden Euro bekommen. Und dieses Geld sei „sicher“, weil der Rechtsstaatsmechanismus auf sehr präzise Kriterien beschränkt worden sei.
Thomas Gutschker
Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.
Allerdings kündigten die beiden Ministerpräsidenten noch auf dem Europäischen Rat an, dass sie gegen die Verordnung zum Schutz des Haushalts, wie sie offiziell heißt, beim Europäischen Gerichtshof klagen werden. Das war so erwartet worden. Schließlich verschafft ihnen diese Klage etwas Luft. Solange die Luxemburger Richter darüber nicht entschieden haben, wird die Kommission keine Sanktionsverfahren einleiten, mit denen Mittel aus der EU-Kasse gesperrt werden können. Das war das einzige Zugeständnis, das Orbán und Morawiecki der deutschen Ratspräsidentschaft abtrotzen konnten. Die begleitende Erklärung, in der das festgelegt ist, wurde von allen 27 Chefs ohne längere Debatte angenommen. Zuvor hatten sie sich noch ein Gutachten des Rats vorlegen lassen, das Bedenken von Staaten wie den Niederlanden und Luxemburg zerstreute, die auf einen wirksamen Rechtstaatsmechanismus pochten. Die Juristen bestätigten: Auch wenn der Mechanismus erst später angewendet wird, bezieht er sich auf sämtliche Zahlungen ab 1. Januar kommenden Jahres, aus dem regulären Haushalt und aus dem Corona-Hilfsfonds.
Wie viel Zeit wird vergehen, bis der Europäische Gerichtshof entschieden hat? Die sogenannte Nichtigkeitsklage müssen Budapest und Warschau schnell einreichen; Artikel 263 des EU-Vertrags setzt dafür eine Frist von zwei Monaten. Da das Europäische Parlament die neue Verordnung nächste Woche annehmen wird, läuft diese Zeit bis Mitte Februar. Danach nimmt sich der EuGH normalerweise ein bis anderthalb Jahre Zeit für seine Entscheidung. Dann hätte Orbán vor der nächsten Parlamentswahl in Ungarn Mitte 2022 wohl nichts mehr zu befürchten.
Aufmerksam „vom ersten Tag“ an
Das muss aber nicht so sein, wie die für Rechtsstaatlichkeit verantwortliche Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourová schon am Donnerstag sagte: „Ich rechne damit, dass das Verfahren schnell geht. Meiner Einschätzung nach reden wir eher über Monate als über Jahre.“ Der F.A.Z. erläuterte sie dies am Freitag so: „Die Richtlinien des EuGH erlauben es einer der Parteien, um ein beschleunigtes Verfahren zu bitten.“ Das können Rat und Parlament, aber auch die Kommission beantragen. Der EuGH stimmt einer solchen Bitte zu, wenn er sie für ausreichend begründet hält – diese Chance dürfte hier groß sein.
Jourová machte deutlich, dass die Kommission bis zu einer Entscheidung nicht untätig sein werde. Sie werde „vom ersten Tag an“ verfolgen, wie die Staaten Mittel verwenden, und an Richtlinien arbeiten, wie man das neue Werkzeug einsetzen werde. Die Kommission muss in jedem einzelnen Fall belegen, dass ein Rechtsstaatsdefizit die wirtschaftliche Haushaltsführung der Union beeinträchtigt. Klar ist aus Jourovás Sicht dieser Fall: Wenn berechtigte Zweifel daran bestehen, dass ein Gericht in einem Fall unabhängig urteilen kann, in dem es um Korruption oder Betrug mit EU-Geld geht. Aber betrifft das nur das konkrete Verfahren? Oder reichen schon Zweifel, weil eine Berufungskammer oder ein höchstes Gericht nicht unabhängig sind? „Es wird eine große Herausforderung für die Kommission, ausreichend Belege vorzulegen, die dann der Überprüfung durch die Mitgliedstaaten standhalten“, gestand Jourová ein. Dazu gehöre, dass man vorher alle anderen Mittel ausschöpfe, besonders Vertragsverletzungsverfahren. Dann sollte sich vor allem die Regierung in Warschau nicht zu sicher fühlen. Denn die wurde schon mehrfach vom EuGH wegen gravierender Rechtsstaatsmängel verurteilt und hielt trotzdem an ihrem Kurs fest.
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