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#Ein Philosoph spielt Roulette

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Ein Philosoph spielt Roulette

Beim melancholischen Blick auf seine Schriften fand Walter Benjamin schon im Juli 1932 nur noch eine „Trümmer- und Katastrophenstätte, von der ich keine Grenze absehen kann, wenn ich das Auge über meine nächsten Jahre schweifen lasse“. Behielt er auch recht mit seiner Prophezeiung, so hätte er eines doch nie zu erwarten gewagt: die Wiederentdeckung nach der Weltkatastrophe und die weltweite Wirkung eines Korpus von Texten, der nicht nur äußerlich so fragmentarisch, rätselhaft, ja widersprüchlich ist, dass er sich im Grunde gegen eine solche Wirkung massiv sperrt. Und man fragt sich, ob diese Wirkung überhaupt je zustande gekommen wäre ohne den jahrzehntelangen Einsatz seiner Freunde Gershom Scholem und Theodor W. Adorno, denen sich die posthume Publikationsgeschichte verdankt. Wenig spricht dafür, dass ohne sie ein Werk Eingang in den philosophischen Kanon des zwanzigsten Jahrhunderts gefunden hätte, das neben zahllosen Aufsätzen und Rezensionen Bücher über so spezielle Themen wie die Kunstkritik in der deutschen Romantik und das barocke Trauerspiel umfasst, zu schweigen von dem gigantischen Material- und Aufzeichnungsarchiv des unvollendeten Projekts über „Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts“.

In dem längst uferlosen Schrifttum über Benjamin gab es sehr lange eine auffällige Leerstelle: die fehlende umfassende Biographie zu Leben und Werk. Geschlossen wurde sie 2014 mit dem Buch von Howard Eiland und Michael W. Jennings, Benjamins amerikanische Herausgeber und Übersetzer, das nun auch auf Deutsch erschienen ist. Fragt man nach den Forderungen, die heute an eine solche Monographie zu stellen sind, muss man noch einmal zurückgehen auf die Werk- und Publikationsgeschichte. Benjamins intellektuelle Existenz, soweit sie in Texten nachlesbar ist, umfasst die drei Jahrzehnte zwischen 1910 und 1940, die Krisen- und Katastrophenjahre Europas und der Welt. Die literarische und philosophische Spannweite reicht dabei von Stefan George und Hölderlin bis zu Bertolt Brecht und Erich Kästner, von Marcel Proust und Julien Green bis zum Surrealismus und zur russischen Avantgarde, von der jüdischen Mystik bis zu Marx. Ende der zwanziger Jahre etwa arbeitete er an zwei Lexikonartikeln: Für die „Encyclopaedia Judaica“ schrieb er über „Juden in der deutschen Kultur“, für die „Große Sowjet-Enzyklopädie“ über Goethe. Dass beide Auftraggeber, die wohl kein anderer zugleich gehabt haben dürfte, Benjamins Texte nur vollkommen umgearbeitet und laut Benjamin „von allem Wesentlichen gereinigt“ druckten, verwundert kaum, ist aber sprechendes Beispiel für seine schwindelerregende und kaum haltbare Position in den damaligen Zeitläuften.

Kampf der Nachwelt

Zu Benjamins Lebzeiten äußerte sich diese zuweilen bizarre Konstellation in der eifersüchtigen Konkurrenz unter seinen Freunden und Gesprächspartnern: Hugo von Hofmannsthal wurde nur selektiv mit Lektüre versorgt, der Zionist Scholem legte den Finger auf jede dialektische Verrenkung seines Freundes, Asja Lacis verhinderte mit allen Mitteln die Reise ihres Verehrers nach Palästina, Adorno registrierte entsetzt den Einfluss von Brechts rabulistischem Materialismus, dieser nährte sein antiintellektuelles Ressentiment beim Blättern in der „Zeitschrift für Sozialforschung“, und Max Rychner, einer der wenigen liberalen Publizisten in Benjamins Bekanntenkreis, schwankte zwischen Kopfschütteln und Bewunderung. Der Betroffene selbst reagierte mit Diplomatie, Schweigen, Verstellung, oder eben mit jenem „bluff pur et simple“, den der ebenfalls eifersüchtige Werner Kraft beklagte.

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