Nachrichten

#Herzblut ist auch eine Farbe

Herzblut ist auch eine Farbe

Die umfassendsten und besten Künstler-Ausstellungen kann man oft an der Lakonie ihrer Titel erkennen: „Paula Modersohn-Becker“ heißt die heute eröffnende Schau in der Frankfurter Schirn bündig und umfasst doch mit hundertsechzehn gemalten und grafischen Werken nahezu alle Höhepunkte ihres Œuvres. Zwar ist die Vita der 1907 mit nur einunddreißig Jahren an einer Embolie verstorbenen Malerin rasch erzählt – ein Pendeln zwischen Paris und der hassgeliebten Künstlerkolonie Worpswede –, für ihr Nachleben und die Folgen ihrer Kunst für die Moderne sollte man sich umso mehr Zeit nehmen, um die neue Ästhetik der auf kräftige Farben gehängten Gemälde zu genießen.

Ingrid Pfeiffer als Kuratorin der Schau charakterisiert Modersohn-Becker vor allem als „zeitlos, direkt, merkwürdig“ – und meint dabei alle drei Bezeichnungen uneingeschränkt positiv. Völlig unbeirrt, obwohl sie so wenig verkauft wie Van Gogh, der in einigen Bildern, vor allem in den pastosen Reliefs ihrer Stillleben durchschimmert, geht die Dresdner Tochter einer Adeligen und eines Bauinspektors ihren Weg. Komplett am Kunstmarkt ihrer Zeit vorbeimalend, gelangt sie zu einer individuellen Moderne, die zwar zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, nach ihrem Tod aber umso mehr bewundert wurde. Selbst rechtzeitig gekommener Ruhm hätte sie vermutlich kaum interessiert.

Sie verweigert die Hauptaufgabe des Porträts

Eine Hauptvertreterin der Avant­garde aber ist sie schon deshalb, weil sie wie jede gute futuristische Bewegung weit zurück in die Kulturschatzkiste greift: Malewitsch entwickelt – acht Jahre nach ihrem Tod – sein ins Eck gehängtes Schwarzes Quadrat aus semi-abstrakten Ikonen, Duchamp sein „Großes Glas“ aus dem mittelalterlichen Reliquienkult – und Modersohn-Becker etliche Alleinstellungsmerkmale ihrer Bildnisse aus modernen Interpretationen der Akte Cranachs, Tizians oder Holbeins, insbesondere aber aus den zweitausend Jahre alten Fayyum-Porträts des alten Ägyptens. Paulas Schwester Herma berichtet, die Künstlerin habe „in den letzten Jahren ihr winziges Esszimmer in Kopfhöhe mit einem Fries von ägyptischen Grabporträts geschmückt“.

Zeitlos, direkt, merkwürdig: „Hand mit Blumenstrauß“, um 1902



Bilderstrecke



Griff in die Kulturschatzkiste
:


Werke von Paula Modersohn-Becker

Die begeisterte Übernahme gleich mehrerer Formmerkmale dieser Totenbilder mag auch die Ursache des Fremdelns vieler Menschen mit Modersohn-Beckers oft spröden Porträts sein, die sie zudem vorzugsweise in ihrer Lieblingsfarbe, der stumpf-trockenen Tempera, malte: Während die meisten ihre Landschaften lieben, finden die Selbstbildnisse und Konterfeis ihres Freundeskreises und mancher verwachsenen oder verwunschenen Kinder (etwa das „Brustbild eines Mädchens mit Kranz und Gänseblume in den Händen“ mit seinen kratertiefen grauen Augenhöhlen) bei vielen weniger Resonanz, möglicherweise eben wegen ihrer subkutanen Nähe zum Tod. Auf dem 1906 entstandenen, prämodernen „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“ etwa verflacht sie ihr Gesicht und übersetzt mit den stark stilisierten dunkelgroßen Mandelaugen wie auch mit den nur als graue Halbmondsicheln gegebenen Augenbrauen Fayyum-Porträts in die Moderne, da diese durch ihre nivellierende Wachsenkaustiktechnik flächig und leichenblass wirken.

Das Serielle und Wesenhafte

Modersohn-Beckers berühmtes Bremer „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag, 25. Mai 1906“ als nur scheinbar Schwangere geht sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter: Im selben Bernsteinton gibt sie ihr mittelgescheiteltes Haar, die Augen und die Bernstein-Halskette. Wäre schon das ein deutlicher Verweis auf die in allen Museen präsenten Mumienbildnisse des Fayyum, ist es erst recht das weiße Leinentuch bauchabwärts und die wie gespachtelte und großporig gegebene Haut sowie das stark betonte Rot ihrer Wangen, das die beständigen Wandlungen von Körper und Epidermis unvergleichlich direkt einfängt.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!