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#„Ich fühle mich im Stich gelassen“

„Ich fühle mich im Stich gelassen“

Herr Oberbürgermeister, am Samstag demonstrierten in Kassel tausende Corona-Gegner und Pandemie-Leugner, meist ohne Abstand und Masken auf ungenehmigten Umzügen. Was für ein Bild hat ihre Stadt abgegeben?

Julian Staib

Julian Staib

Politischer Korrespondent für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland mit Sitz in Wiesbaden.

Das war ein Schlag ins Gesicht meiner Stadt. Für diejenigen, die persönliches Leid zu ertragen hatten und unter den Einschränkungen leiden, aber auch für all diejenigen, die uns derzeit in der Krise helfen, wie etwa das medizinische Personal. Wir sind bislang gut durch die Pandemie gekommen. Nun haben 20.000 Menschen, von denen die allermeisten nicht von hier kamen, Kassel regelrecht überflutet. Das war kein guter Tag für Kassel.

Kassel war vor dem Wochenende vergeblich gerichtlich gegen die Demonstrationen vorgegangen.

Wir haben im Vorfeld alle angemeldeten Versammlungen untersagt. Dagegen sind in vier Fällen Anmelder vorgegangen und haben vor dem Verwaltungsgericht Kassel obsiegt. Deswegen hat die Stadt die zweite Instanz, den hessischen Verwaltungsgerichtshof, angerufen und hier insoweit einen Teilerfolg erzielt, dass lediglich eine mit 6000 Teilnehmern unter Auflagen erlaubt war. Ein Aufzug war verboten. Juristisch hat die Stadt damit alles in ihrer Macht stehende unternommen.

Christian Geselle (SPD) ist Oberbürgermeister von Kassel


Christian Geselle (SPD) ist Oberbürgermeister von Kassel
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Bild: dpa

Aber bei nur 6000 Teilnehmern blieb es nicht. Haben Stadt und Polizei die Lage unterschätzt?

Nein. Weder die Stadt Kassel noch das Polizeipräsidium Nordhessen haben die Lage unterschätzt. Wir haben uns auf das Szenario vorbereitet, das man uns vorgab. Die Voraufklärung und die Gesamteinschätzung der Lage erfolgten – wie üblich – nicht vor Ort, sondern im Lagezentrum im Innenministerium in Wiesbaden. Wir hatten als Stadt ebenso wie das Polizeipräsidium Nordhessen noch zwei Tage vorher, also am Donnerstag, die Angabe erhalten, die Teilnehmerzahl werde im mittleren vierstelligen Bereich sein. Aber dann wurden es 20.000.

Die Sicherheitsbehörden in Wiesbaden haben die Situation also unterschätzt?

Die Voraufklärung hat ganz offensichtlich nicht funktioniert. Es gab eine deutliche Fehleinschätzung zur Mobilisierungskraft der Teilnehmer. Nur ein kleiner Teil kam aus Kassel. Ich war am Samstag selbst in der Stadt unterwegs und habe mir ein Bild machen können.

Die Polizei vor Ort hat die Leute dann einfach gewähren lassen.

Die eigentliche Konzeption des Einsatzes konnte aufgrund der hohen Teilnehmerzahl im Verlauf des Tages einfach nicht mehr funktionieren. Zu Beginn waren etwa 6000 Personen außerhalb der Innenstadt am angemeldeten Versammlungsort, aber die anderen waren überall im Stadtbereich verteilt. Zunächst wurde versucht, die Menschen aus der Innenstadt zum genehmigten Versammlungsort zu geleiten. Aber das funktionierte nicht, weil dafür zu wenig Polizei vor Ort war. Unter den Leuten waren Familien mit kleinen Kindern, aber auch Personen aus der Hooligan-Szene, Rechtsradikale und Leute aus dem esoterischen Bereich. Es war eine breite Mischung der Bevölkerung. Gerade wenn Familien dabei sind, kann der Staat kaum hart durchgreifen. Es war daher richtig, im Verlauf des Tages auf eine Deeskalationsstrategie umzuschwenken. Wir hätten ganz andere Szenen erlebt, wenn versucht worden wäre, das Versammlungsverbot für die Innenstadt mit Härte durchzusetzen. Die Polizei vor Ort war zahlenmäßig unterlegen. Ihr ist kein Vorwurf zu machen.

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So aber konnten pöbelnde gewaltbereite Corona-Leugner machen was sie wollten.

Das ärgert mich sehr und ist eben der Schlag ins Gesicht unserer Stadt. Aber nochmal: Adressat der Kritik kann nicht die Polizeiführung vor Ort sein. Sondern es geht um die Voraufklärung und den Kräfteansatz. Ich fühle mich als Oberbürgermeister der Stadt Kassel desinformiert und sicher wie die Polizeiführung vor Ort im Stich gelassen. Am Freitagabend also kurz vor der Demonstration sollen sogar noch zwei Hundertschaften der Polizei abgezogen worden sein. Warum?

Wird die Bewegung der Querdenker grundsätzlich von den Sicherheitsbehörden unterschätzt?

Hinter den Demonstrationen in Kassel stand eine riesige Logistik. Die hatten Busse gechartert und waren auch aus dem Ausland gekommen, sie hatten Hotels gemietet, große Leinwände und mobile Bühnen dabei. Das braucht auch einen finanziellen Hintergrund. So etwas muss den Sicherheitsbehörden doch im Vorfeld auffallen. Mit dem Phänomen und der Organisation der Querdenker müssen sich Bund und Länder intensiver und ernsthaft auseinandersetzen.

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