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#Im Bann der dauererregten Masse

„Im Bann der dauererregten Masse“

Kann ein Buch wie eine Ausstellung sein, fragt Peter Michalzik, in der man sich frei bewegen und trotzdem der Chronologie der Ereignisse folgen kann? Er hat ein ähnliches Kompositionsprinzip für sein Buch über Deutschland in den Jahren 1926 bis 1938 versucht. Dafür richtet er den Fokus auf den Schriftsteller Ödön von Horváth, die Schauspielerin Marianne Hoppe und Adolf Hitler. Ein Museum, das dieses Trio gemeinsam präsentieren würde, brauchte schon ein paar gute kuratorische Argumente.

In seinem Vorwort liefert Michalzik, lange Jahre Theaterkritiker und inzwischen Hochschuldozent, diese Begründung: Er möchte „das Gefühl einer Epoche“ vermitteln, da die drei Biographien nicht bloß zeitlich miteinander verbunden sind, sondern überdies durch das Phänomen der Masse, die für ihn als relevante soziale Erscheinung Anfang des letzten Jahrhunderts entstand, „in Aufmärschen, in Stadien, auf Plätzen und schließlich im Krieg so nachdrücklich“ in Erscheinung trat. „Die dauererregte Masse“ erinnert ihn an unsere Gegenwart, die ihr mit den sozialen Medien ein globales Forum bietet.

Berührungspunkte zwischen den Lebensläufen

Diese Überlegungen haben eine gewisse Logik, die allerdings die Titelfiguren nur bedingt einbezieht. Dass Hitler die Massen zu mobilisieren und zu manipulieren verstand, ist bekannt. Dass die heranwachsende Kunstform des Films in diesen Jahren zur Populärkultur wurde, weiß man. Dass Marianne Hoppes Kinokarriere 1933 begann, als Hitler an die Macht gelangte, und Horváth deswegen aus dem Gleis geriet, ist indes zu wenig, um das Buch zu tragen.

Peter Michalzik: „Horváth – Hoppe – Hitler“. 1926 bis 1938 – Das Zeitalter der Masse.


Peter Michalzik: „Horváth – Hoppe – Hitler“. 1926 bis 1938 – Das Zeitalter der Masse.
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Bild: Aufbau Verlag

Tapfer bemüht sich Michalzik, Berührungspunkte zwischen den Lebensläufen zu zeigen oder zumindest zu beteuern, lässt Hitler dabei vorwiegend in dessen Redetexten zu Wort kommen und beschreibt – ohne sonderlich inspiriert zu wirken – deren rhetorische Strategien: „Immer waren es Phantasmen, Konstrukte von irgendwelchen Menschengruppen (die Deutschen, der Bolschewist, der Arier, der Franzose, der Engländer, der Jude), die Hitler ausbreitete, an denen er sich abarbeitete und mit denen er sich erregte.“ Zudem zitiert er Texte etwa von Elias Canetti, José Ortega y Gasset oder Martin Heidegger, um die Masse als dynamischen Organismus zu zeichnen, den Hitler sowohl verachtete wie beherrschte.

Manches kann man als Gossip durchwinken

Die Verbindung zu Ödön von Horváth, welcher der Masse so genau aufs Maul zu schauen wusste, dass man seine Kunstsprache, die er ihr auf die Zunge legte, als originären Dialekt anzuerkennen bereit ist, mutet aber recht weit hergeholt an. Die Analysen zu dessen Werdegang und Werk lesen sich jedoch am anregendsten, hier ist Michalzik in sicheren theaterwissenschaftlich-philologischen Gewässern: „Horváths zentrales schriftstellerisches Verfahren besteht darin, dass er Massemenschen zu Figuren werden lässt. Er kehrt die Entwicklung der Gesellschaft damit sozusagen um.“ Wahrscheinlich wäre eine Studie über Horváth allein wesentlich überzeugender geworden. Für Marianne Hoppe hätte es da auch Platz gegeben, sie bewunderte Horváth nämlich, hatte eine Affäre mit ihm, ließ ein gemeinsames Kind wohl abtreiben.

Gewünscht hätte man sich überdies ein sorgfältigeres Lektorat. Zu manchen unnötigen Wortwiederholungen, grammatikalischen Kruditäten („Der Aufstieg der Nazis und der Filmschauspielerin Marianne Hoppe liefen parallel“) und inhaltlichen Redundanzen kommen Schlampereien – weder wird erklärt, wer eigentlich Carl Dreyfuss war (außer Marianne Hoppes jüdischer Geliebter, der sich zeitweise in ihrer Wohnung versteckte), noch wie der Name der Schwester des Schriftstellers Erich von Mendelssohn lautete, mit der Horváth „ein Verhältnis gehabt haben“ soll. Das kann man als amüsanten Gossip durchwinken, immerhin verbrachte der als hommes à femmes geltende Horváth 1931 nach der Uraufführung seiner „Geschichten aus dem Wiener Wald“ einige Tage in der Mendelssohn-Villa in Berlin.

Von der Ausstellungsanalogie zur Filmdramaturgie

Aber was darf man mit Michalziks Behauptung anfangen, dass die Schauspielerin Käthe Dorsch „einmal mit Hermann Göring verheiratet gewesen“ sei? Wäre diese höchst überraschende Mitteilung nicht im Archiv eines Standesamtes zu überprüfen gewesen? Oder in der nicht knappen Literatur über Göring? Eine Fußnote dazu gibt es nicht.

Und dann wechselt Michalzik plötzlich von der Ausstellungsanalogie zur Filmdramaturgie, weil ihm dies die Turbulenzen des Jahres 1933 angeraten erscheinen lassen: „Es gibt sozusagen einen großen Kameraschwenk über das Gesamtgeschehen, bevor wir in die Szenen zoomen.“ Irgendetwas ist da schiefgelaufen. Und niemand hat interveniert. Man wundert sich. So bleibt sein Buch ein Versprechen, das leider nur zum Teil eingelöst wird: viel Arbeit, wenig Ertrag.

Peter Michalzik: „Horváth – Hoppe – Hitler“. 1926 bis 1938 – Das Zeitalter der Masse. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 304 S., Abb., geb., 26,– €.

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