#Ein Spottlied auf die Queen
Inhaltsverzeichnis
„Ein Spottlied auf die Queen“
Am 7. Juni 1977 charterten Malcolm McLaren und Vivienne Westwood in London ein Boot namens „Queen Elizabeth“ – angeblich um eine deutsche Synthesizerband darauf spazieren zu fahren, denn sonst hätte der Kapitän sie wohl gar nicht erst an Bord gelassen. Tatsächlich aber schipperte er die von beiden erdachte Punkband „Sex Pistols“ nebst Publikum vorbei an der Battersea Power Station in Richtung Westminster. Vom Boot aus brachte die Band der Queen ein Ständchen, das zwar den gleichen Titel wie die britische Nationalhymne trug, aber das war es auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Nicht vom gnädigen, möglichst sieg- und ruhmreichen Staatsoberhaupt war die Rede (bezüglich der politischen Funktion der Queen im Übrigen ein höchst anachronistischer Text), sondern von den katastrophalen Auswirkungen jener Institutionen der britischen Gesellschaft, deren Galionsfigur sie war.
In den Versen John Lydons wurde keine nostalgische Rückschau betrieben, wie sie das Jubiläum von 1977 an allen Ecken und Ende prägte – von der Commonwealth-Tour bis hin zu Tassen, Straßenfesten und der „Trooping of the Colours“-Parade. Der collagenartige Text beschreibt vielmehr eine finstere Zukunftsvision, in der die Idee „England“ versagt und alles zu einer „mad parade“ verkommt, bei der man nur noch Gott um Gnade anflehen kann – im Modus der Ironie.
„God Save The Queen“ sang Lydon als synkopisch-dynamischen Gegenpart zur getragenen Hymnenmelodie mit lustvollem Sarkasmus („We mean it man!“). Mit übertrieben gerolltem R zeigte er die Konsequenzen eines Systems auf, das alle zu Trotteln mache und in dem die Monarchie nur noch eine Touristenattraktion sei – ein Argument, mit dem die öffentlichen Aufwendungen für die königliche Familie bis heute durchaus legitimiert werden. Was die BBC und andere britische Institutionen als Angriff auf die Königin werteten, war tatsächlich eine Kritik an der britischen Klassengesellschaft, die der jungen Generation keine Zukunft bot.
Ein Mittel zum Umsturz
In einem Punkt entsprach der Text sogar monarchischer Doktrin: Die Königin sei kein Mensch („She ain’t no human being“) heißt es durchaus treffend, rückte die Salbung der Königin beim Krönungszeremoniell sie doch in die Nähe des Göttlichen und hob das Gottesgnadentum ihrer Regentschaft hervor. Auch diesen Moment hatte die BBC übrigens, während der Liveübertragung der Krönung 1953, zensiert: Der Bildschirm wurde schwarz, als die Königin unter einem Baldachin vom Erzbischof von Canterbury die sakralen Weihen empfing.
Aus der Zeit gefallene Rituale wie diese aber waren Teil des Problems („Oh God, save history“), blieb für die jüngere Generation doch nicht viel anderes übrig als „No future“. 1975 waren fünfzehn Prozent der britischen Bevölkerung zwischen dreizehn und einundzwanzig Jahre alt. Von diesen acht Millionen Jugendlichen gehörten zwei Drittel der Arbeiterklasse an, zwei Millionen erhielten die britische Variante der Arbeitslosenunterstützung, die den Lebensunterhalt kaum deckte. Viele von ihnen hatten die Schule nicht beendet, auf einen Job kamen zehn Schulabgänger, eine Zukunft war da nicht zu erkennen. Wenigsten solle sich die Jugend nicht mehr darüber belehren lassen, was sie wolle und was sie brauche, sang Lydon. Der Refrain ist dabei so deutlich wie paradox, schwingt doch im Beschwören von „No future“ auch mit, dass es eigentlich anders sein müsste.
Die Sex Pistols 1978 in New York: Sid Vicious am Bass, Drummer Paul Cook, Sänger Johnny Rotten und Leadgitarrist Steve Jones (von links nach rechts)
:
Bild: dpa
Auch John Lydon lebte von Arbeitslosenunterstützung, als ihn Malcolm McLaren und Vivienne Westwood als Frontmann der Sex Pistols entdeckten. Lydon, der sich den sprechenden Bühnennahmen Johnny Rotten zulegte, verstand sich ausdrücklich als Sprachrohr für Jugendliche aus der Arbeiterschicht. McLaren aber sah in den Sex Pistols recht naiv ein Mittel zum Umsturz. Er wollte die situationistische Methode der Provokation auf die kommerzialisierte Musikkultur anwenden und eine Band bei einem der großen Plattenlabel unterbringen, wie der Historiker David Simonelli 2010 in der Zeitschrift British Contemporary History darstellt. Punk mit seiner offensiven Sprache, der desillusionierten Wahrnehmung von Gegenwart und Zukunft und der Verweigerung gegenüber gesellschaftlichen Konventionen war bestens dazu geeignet, diese Provokationen zu liefern. Und die Sex Pistols lieferten.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.