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#Kain, wo ist dein Bruder Schinkel?

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Kain, wo ist dein Bruder Schinkel?

Die Friedrichswerdersche Kirche ist wieder da. Das ist eine Gewissheit, von der man überwältigt wird, sobald sich die Türen des neogotischen Kirchengebäudes gegenüber vom Auswärtigen Amt in Berlin geöffnet haben. Schinkels bedeutendster Sakralbau hat den Angriff der Immobilieninvestoren überlebt, seine Fundamente, die durch die Austiefungen zweier benachbarter neuer Wohnblöcke wegzusacken drohten, sind stabilisiert, der Riss, der sich von Norden nach Süden durch Dach, Chor und Fußboden der Kirche zog, ist verschwunden. Darauf hätte vor sechs Jahren, als der gesamte Innenraum eingerüstet war und nur Stahlstreben den Einsturz der Wände verhinderten, wohl niemand gewettet. Und auch drei Jahre später, nachdem die größten Schäden behoben waren und die Sanierung vor dem Abschluss stand, sah es nicht so aus, als würde der einstige Glanz der Kirche als Baudenkmal und Museumsraum zurückkehren.

Pseudoschick, rostbraun, panzerartig

Denn inzwischen waren auch die Luxuswohnblöcke zu beiden Seiten in die Höhe gewachsen, edelbleich und pseudoschick der eine, rostbraun und panzerartig der andere, und ihre breitbeinigen Obergeschosse raubten den Schinkelschen Kirchenfenstern das Licht. So wirkte es zumindest im vergangenen Oktober, als die Kirche vor dem Lockdown für acht Tage geöffnet war und kaum ein Sonnenstrahl in ihr Inneres drang. Der Bau und seine Schätze lagen im Schatten. Matte Helligkeit fiel durch die Chorfenster im Norden, gerade genug für ein Schimmern auf den Rändern der Skulpturen. Den Rest erledigten die Elektrostrahler.

Von Wohnblöcken umzingelt: Schinkels Kirchenbau auf dem Friedrichswerder


Von Wohnblöcken umzingelt: Schinkels Kirchenbau auf dem Friedrichswerder
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Bild: Staatliche Museen zu Berlin/David von Becker

Aber jetzt ist Schinkels Lichtzauber zurückgekehrt. Es brauchte den Sonnenstand des Frühlings, um ihn zu entfachen, und bis Ende September wird er sich hoffentlich halten: ein Gleißen, das den gesamten Kirchenraum zum Klingen bringt, als würde in der Luft eine Basssaite angeschlagen. Die Kunstwerke der Dauerausstellung der Alten Nationalgalerie wirken durch diesen Klang wie verwandelt, und beim Näherkommen sieht man, dass diese Verwandlung kein bloßer Effekt ist, denn auch die Ausstellung hat sich erneuert.

Anstelle des preußisch-klassizistischen Ensembles nämlich, das die Kirche bis zu ihrer erzwungenen Schließung vor achteinhalb Jahren prägte, haben die Kuratoren Yvette Deseyve und Ralph Gleis einen historisch breiter angelegten Parcours eingerichtet. Er beginnt mit Tassaerts Porträt des Philosophen Moses Mendelssohn von 1785 und reicht über Schadow, Rauch und Tieck bis zur Blüte des Jugendstils bei Artur Volkmann und August Kraus.

Glanzstück der Sammlung: Schadows Gipsporträt der Prinzessin Friederike von Preußen


Glanzstück der Sammlung: Schadows Gipsporträt der Prinzessin Friederike von Preußen
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Bild: Staatliche Museen zu Berlin/Andres Kilger

Dazwischen taucht der Betrachter tief in die Kunstgeschichte des deutschen neunzehnten Jahrhunderts ein: erst die Antiken-Begeisterung bei Heinrich Kümmel („Fischerknabe“) und Schadows Sohn und Mitarbeiter Ridolfo („Spinnerin“), dann der Neubarock eines August Kiss („Glaube, Liebe, Hoffnung“) und Louis Tuaillon („Phryne“), schließlich der plastische Realismus von Adolf von Hildebrands schlafendem „Hirtenknaben“ und Volkmanns getönten und farbig gefassten Bildwerken.

Im Fluchtpunkt der Präsentation, ungefähr dort, wo früher ein Abguss von Christian Daniel Rauchs Grabmonument der Königin Luise stand, erhebt sich jetzt eine Eva-Gruppe von Reinhold Begas, die an wilhelminischer Üppigkeit und Drastik nichts zu wünschen übrig lässt: Auf den Knien der Urmutter schaukelnd, die breit wie eine Flußgöttin auf ihrem Marmorpolster lagert, tritt der böse Kain nach seinem Bruder Abel, der unschuldig an der dargebotenen Brust nuckelt. Ein Preuße der Schinkelzeit hätte diese Großskulptur gehasst, aber für das heutige Publikum, das mit seinen historischen Wurzeln im Kaiserreich hadert, ist sie genau die richtige ästhetische Provokation.

Kunst des neunzehnten Jahrhunderts: Blick in die neue Skulpturen-Ausstellung


Kunst des neunzehnten Jahrhunderts: Blick in die neue Skulpturen-Ausstellung
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Bild: dpa

Der Rahmen um die Neugestaltung ist der alte geblieben. Schinkel, Rauch, Schadow und Winckelmann halten in Lebensgröße noch immer die Wacht, und auch Schadows Prinzessinnengruppe wird nach gründlicher Restaurierung an ihren Platz im Zentrum zurückkehren. Dafür haben Gleis und Deseyve auf der südlichen Empore ein kunsthistorisches Kabinettstück gewagt. Sie zeigen Porträtbüsten von Thorvaldsen bis Anna von Kahle und Elisabet Ney, in deren Sujets sich zugleich die Zeitgeschichte spiegelt: Humboldt, Bismarck, Wilhelm I.

Dass Victoria, die englische Gattin des Hundert-Tage-Kaisers Friedrich, nicht ohne Geschick als Künstlerin dilettierte, zeigt das Gipsporträt einer preußischen Prinzessin von 1859. In den Gesichtszügen dieser Augusta malt sich eine Härte, die auf den zweiten Blick nur allzu bekannt erscheint. Man könnte sie preußisch nennen.

Ideal und Form. Skulpturen des 19. Jahrhunderts. Friedrichswerdersche Kirche, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr. Kein Katalog.

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