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#Kann Europa etwas von Asien lernen?

Kann Europa etwas von Asien lernen?

Voller Neid blickt Deutschland in diesen Tagen auf die andere Seite des Globus. Während die anhaltend hohen Zahlen an Neuinfektionen in Europa weitere Einschränkungen notwendig machen, genießen viele Menschen in Ostasien einen vergleichsweise normalen Alltag. In Neuseeland sind die Rugby-Stadien wieder gefüllt, in Singapur treffen sich die Menschen zum Dämmerschoppen auf den Dachterrassen, und selbst im chinesischen Wuhan, wo die Pandemie vor rund einem Jahr ihren Ursprung genommen haben soll, werden wieder Partys gefeiert. Angesichts dieser unterschiedlichen Lebenswelten, die in den verschiedenen Hemisphären zu beobachten sind, stellt sich die Frage, ob es etwas gibt, was sich von der Corona-Reaktion in Ostasien, Australien und Neuseeland lernen lässt.

Dabei kann man zunächst durchaus noch einmal daran erinnern, dass es in den vergangenen Monaten auch einmal anders aussah. Da verfolgten manche in Asien die fröhlichen Facebook-Postings der Europäer aus dem Urlaub, während zwischen Tokio und Sydney die Grenzschließungen den Reiseverkehr fast komplett zum Erliegen gebracht hatten.

In das Gefühl von Neid mischte sich aber schon damals eine gewisse Sorge, dass auf die Monate relativer Unbekümmertheit die Rückkehr hoher Infektionszahlen folgen würde. So ähnlich ist es dann auch gekommen. Die nach wie vor hohen Fallzahlen in Europa und Amerika sind mittlerweile sogar eines der Hauptargumente für die fortgesetzten Reisebeschränkungen in Asien.

Die Geduld wurde stark strapaziert

Viele in der Region sind sich der Tatsache bewusst, dass sie für ihren heute relativ unbeeinträchtigten Lebensstil davor einen hohen Preis gezahlt haben. Beispielhaft kann der viermonatige Lockdown in der australischen Metropole Melbourne gesehen werden, unter dem die Bewohner nur einmal täglich in einem auf fünf Kilometer begrenzten Radius zum Sport oder zum Einkaufen vor die Tür durften. Viele lebenslustige „Melburians“ hat dies bis an den Rand ihrer Geduldsfähigkeit gebracht. Doch die Einschränkungen haben gewirkt: Seit mehr als einem Monat hat der Bundesstaat Victoria, zu dem Melbourne gehört, nun keine lokalen Neuinfektionen mehr gemeldet.

Auf der Regionalliste der Länder, die das Virus wenigstens zwischenzeitlich gut in den Griff bekommen hatten, finden sich neben Australien allerdings so unterschiedliche Länder wie China, Japan, Neuseeland, Singapur, Südkorea, Taiwan, Thailand und Vietnam. Wer dort nach Gemeinsamkeiten sucht, hat es schwer.

Es sind Demokratien dabei und autoritäre Staaten, kleine Insel- und riesige Flächenstaaten, reiche Industrieländer und relativ arme Schwellenländer. Gemeinsam scheint ihnen dabei ein relativ leistungsfähiges Staats- und Gemeinwesen zu sein, das eine Organisation der Pandemiereaktion bis an die Graswurzeln ermöglicht. Andere wie Indien, Indonesien und die Philippinen tun sich da schwerer und haben mit mehr Infektionen zu kämpfen.

Erfahrungen aus der Sars-Krise

Asiens erfolgreiche Corona-Bekämpfer waren außerdem unter den ersten Ländern, die ihre Grenzen geschlossen und Schritte zur Eindämmung lokaler Infektionen ergriffen hatten. Die meisten wenden ansonsten eine Reihe von Maßnahmen an. Dabei wird über Tests und Hygienemaßnahmen hinaus mal mehr, mal weniger auch auf Quarantäne/Isolation, Contact Tracing und Erleichterungen der Kontaktverfolgung geachtet.

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Einige dieser Länder konnten dabei auf ihre Erfahrungen aus der Sars-Krise 2002/2003 aufbauen. Viele sind dort seit Sars auch an das Maskentragen gewöhnt. Die Maskenpflicht wird mitunter rigoros durchgesetzt. Darüber hinaus mögen je nach Land kulturelle Eigenheiten oder eine gewisse Vorimmunität eine Rolle spielen. Aber das ist bisher nur Spekulation.

Es kann also durchaus sinnvoll sein, einmal nach Asien zu schauen. Dies sollte aber mit Bedacht geschehen. Schließlich erscheint es kaum denkbar, dass sich derartige Einschränkungen der Bewegungs- und Freiheitsrechte, wie es sie in einigen (nicht allen) dieser Staaten gegeben hat, in Deutschland und Europa jemals durchsetzen ließen. Und auch wenn zu diesem illustren Kreis einige Demokratien gehören, so herrschen dort mitunter doch andere Vorstellungen davon, welche Rolle der Staat bei der Durchsetzung strenger Regeln einnehmen darf und soll. So ausufernd die deutschen Diskussionen über die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen und die Gefährlichkeit des Virus sein mögen, sind sie doch ein wichtiger Teil unserer lebendigen Demokratie.

Eine solche Debatte lässt sich in Asien und selbst in Australien und Neuseeland in diesem Ausmaß kaum finden. Aber auch ein alleiniger Verweis auf einen vermeintlich höheren Gemeinsinn der Asiaten und einen (angeblich ausufernden) Individualismus des Westens führt in die Irre. Ein orientalistischer Blick, in dem Asien wahlweise als Ursprung des Chaos oder als Hort fernöstlicher Weisheit gilt und in dem der Osten als Mittel zur Selbsterhebung oder lustvollen Selbstgeißelung nur ein Spiegel unserer selbst ist, sollte eigentlich der Vergangenheit angehören.

Denn angesichts eines kaum zu kalkulierenden Infektionsrisikos haben auch die Asiaten nicht das Patentrezept gefunden. Auch sie müssen wachsam bleiben und neue Infektionswellen niederkämpfen. Das ist eine Einsicht, die den Blick über den eigenen Tellerrand allerdings auch nicht verhindern sollte. Als eigentliches Problem könnte sich nämlich das fehlende Interesse Europas an Asien und eine auf China und das dortige Regime konzentrierte Sicht herausstellen, die eine offene Suche nach wirksamen Schutzmaßnahmen verhindert. Angesichts des vielfach ausgerufenen „asiatischen Jahrhunderts“ sollte uns dieser mangelnde Blick auf Asien in seiner Vielfalt und Gesamtheit, mit seinen Schwächen, seinen Stärken, zu denken geben.

Till Fähnders

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