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#Keine Rückkehr in die alte Welt

Keine Rückkehr in die alte Welt

Der Anstieg der deutschen Inflationsrate auf 3,8 Prozent im Juli kommt für viele Fachleute weniger unerwartet als für die breite Öffentlichkeit. Und da Debatten über Inflation in Deutschland gerne hysterischer als in anderen Ländern geführt werden, lohnt es sich, der Frage nachzugehen, ob Inflation nur vorübergehend Anlass zur Sorge gibt. Denn unbestritten wird die Inflationsrate derzeit durch vorübergehende Einflüsse wie die letztjährige Mehrwertsteuersenkung, die inzwischen ausgelaufen ist, getrieben. Aber die Frage ist berechtigt, ob nicht auch andere, längerfristig wirkende Kräfte auf die Inflation einwirken.

Jedenfalls läuft die Wirtschaftspolitik – die Geldpolitik und die Finanzpolitik wie auch andere Zweige der Wirtschaftspolitik – in den Industrienationen derzeit Gefahr, ihre Schwerpunkte falsch zu setzen, weil sie die Dynamik des Wandels unterschätzt. Vor der Pandemie befanden sich die alten Industrienationen in einem durch niedriges Wirtschaftswachstum, niedrige Inflationsraten und niedrige Zinsen gekennzeichneten Umfeld. Das muss nicht so bleiben. Stattdessen sprechen gute Gründe für eine Verbesserung des wirtschaftlichen Umfelds auch ohne geld- und finanzpolitische Stimulanz bei einem moderat stärkeren Inflationsdruck. Die Aufgabe einer guten Wirtschaftspolitik wäre es, geeignete Bedingungen zu schaffen, um das Wachstumspotential zu nutzen und gleichzeitig die Inflation unter Kontrolle zu halten.

Als Ursachen des Dreiklangs von niedrigem Wachstum, niedriger Inflation und niedriger Zinsen galten vor allem säkulare Einflüsse wie die demographische Entwicklung und die Verwandlung kapitalintensiver Industriegesellschaften in dienstleistungsorientierte Wissensgesellschaften, die bisher von einem geringen Wachstum der Produktivität begleitet wurde. Die niedrige Inflation war begünstigt durch eine globale Arbeitsteilung, die es den Industrienationen gestattete, billige Konsumgüter aus zu niedrigen Löhnen produzierenden Schwellen- und Entwicklungsländern zu beziehen.

Viele Prozesse im Staatswesen funktionieren nur schlecht

Doch angesichts einer alle Lebensbereiche erfassenden digitalen Revolution, einem auch demographisch bedingt längerfristig zunehmenden Lohndruck in Schwellenländern, wachsenden Zweifeln an der Globalisierung und einem durch die Pandemie und den Klimawandel bedingten Überdenken bisheriger Lebensentwürfe und Wirtschaftsmodelle ändern sich wichtige Parameter. Die Pandemie veranlasst die privaten Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle zu überprüfen. Die Verlockung ist groß, die Digitalisierung der Unternehmen so rasch und so umfassend wie möglich voranzutreiben. Daraus sollten in den kommenden Jahren spürbare Produktivitätszuwächse entstehen.

Die kräftige Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen wiederum gibt den Technologieunternehmen Anreize, weitere innovative Lösungen zu entwickeln. Verweigern werden sich die Unternehmen diesem Modernisierungsschub nicht können: Wer nicht mitmacht, droht eher früher als später aus dem Markt zu fliegen.

Die Pandemie hat auch erhebliche Defizite in der Verwaltung an den Tag gelegt, deren Ausmaß gerade in Deutschland für Überraschung gesorgt hat. Die Ausstattung etwa von Schulen und Gesundheitsämtern ist höchst beklagenswert; zudem funktionieren viele Prozesse im Staatswesen nur schlecht. Die chronische Unterausstattung von Polizei, Rechtspflege und Militär war schon vor Corona ein Thema. Früher hatten viele Politiker wenig Anlass, selbst offenkundige Missstände zu beseitigen, weil sie das Geld lieber für sozialpolitische Transfers verwendet haben. Angesichts der Prominenz, die staatliches Fehlhandeln in der Öffentlichkeit erhalten hat, dürften nun auch die Politiker den Anreiz besitzen, künftig die drängendsten Aufgaben zuerst zu erledigen.

Eine ambitiöse Klimapolitik wird die Wirtschaft einerseits erheblich unter Druck setzen, aber auch umfangreiche – private wie öffentliche – Investitionsprojekte auf den Weg bringen. Daraus kann, zusammen mit spürbaren Produktivitätszuwächsen, durchaus ein etwas höheres Wirtschaftswachstum in Verbindung mit einem leichten Zinsanstieg entstehen. Bedroht wird dieses Szenario durch ein Infragestellen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung, die nicht nur schädlich für das Wirtschaftswachstum wäre, sondern auch für höhere Inflation sorgen könnte. Eine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik müsste sich diesen Herausforderungen stellen, anstatt zu meinen, niedrige Zinsen und hohe Staatsausgaben seien eine zeitlos richtige Strategie.

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