Wissenschaft

#Kompensation politischer durch wissenschaftliche Autorität? – Gesundheits-Check

Karl Lauterbach ist ein Politiker, der sich gerne als „Wissenschaftler“ präsentiert, z.B. als Adjunct Professor of Health Policy and Management an der Harvard School of Public Health. Natürlich forscht er nicht mehr selbst und er hat das auch früher nicht lange getan, als Erstautor wissenschaftlicher Artikel taucht er gar nicht so oft auf.

Gestern hat er den Kongress „Armut und Gesundheit“ eröffnet. Den 29. Kongress inzwischen. Im letzten Jahr war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier da. Das zeigt an, wie relevant der Kongress inzwischen für die Politik geworden ist, dass er aus der Nische der Randgruppenthemen herausgefunden hat, und natürlich auch, dass Politiker versuchen, damit zu punkten. Schon kurz nach Lauterbachs Rede waren einzelne Themen daraus in den Medien, ohne wie sonst so oft begleitet von kritischen Kommentaren.

Daher übernehme ich das an dieser Stelle einmal.

Interessant an seinem Auftritt fand ich, dass er sich einmal mehr vor allem als Wissenschaftler inszeniert hat, und weniger als Politiker. Er hat wie so oft Studien referiert, diesmal eben zur Relevanz sozialer Einflussfaktoren sowie des Klimawandels auf die Gesundheit.

Die Botschaft ans Plenum der Kongressbesucher:innen: Ich bin ganz auf eurer Seite, ich bin einer von euch.

In diesen Rahmen hat er dann einige seiner aktuellen politischen Vorhaben gesetzt und z.B. die geplanten Gesundheitskioske oder die anstehende Krankenhausreform als Antworten auf die soziale Ungleichheit von Gesundheitschancen interpretiert. Den Gesundheitskiosken, die mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz kommen sollen, ist das in der Tat explizit so ins Auftragsbuch geschrieben. Sie sollen in sozial schwachen Regionen als niedrigschwelliges Angebot der Gesundheitsberatung und der Weitervermittlung ins Versorgungssystem eingerichtet werden. 1000 solche Gesundheitskioske sollen es einmal werden. So sinnvoll ein solches Angebot sein kann, wenn es gut gemacht und gut vernetzt ist: Wie viel Gesundheitskioske zum Abbau sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen beitragen werden, darüber kann man kontrovers diskutieren. Man muss es vielleicht nicht als den berühmten Tropfen auf den heißen Stein schlechtreden, sondern könnte es als einen weiteren Mosaikstein in einem Gesamtbild sehen – leider kennt niemand das Gesamtbild. Viele Kritiker sehen daher in den Gesundheitskiosken nur eine weitere Extrawurst im System, mit neuen Schnittstellen, statt dass die Regelversorgung besser auf die sozial Benachteiligten ausgerichtet würde, z.B. was eine stärkere Steuerung der Niederlassung von Ärzt:innen oder sozialmedizinische Angebote der Gesundheitsämter angeht. Dass Ärzt:innen bevorzugt in wohlhabendere Regionen gehen, ist aus deren Sicht natürlich nachvollziehbar, aber wäre hier nicht über eine Reform des Sicherstellungsauftrags der Kassenärztlichen Vereinigungen zu reden? Ein Minenfeld, Gesundheitskioske sind nicht ganz so brisant.

Etwas merkwürdig war Lauterbachs Einlassung, auch durch die geplante Krankenhausreform würde sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen verringert, weil vor allem in den kleineren, nicht gut ausgestatteten Häusern ärmere Menschen behandelt würden. Gibt es dazu wirklich Daten? Gilt das auch für die vielen kleinen Kliniken in München?

Wie dem auch sei. Hier will ich nur darauf hinweisen, dass ich gerne mehr vom Politiker Lauterbach gehört hätte: Wie stellt er sich eine systematische Strategie zum Abbau sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen vor? Wie dabei die Gewichtung von neuen medizinischen Versorgungsangeboten gegenüber einer besseren Primärprävention durch ausreichende Löhne, gute Bildung, wirksamen Arbeits- und Umweltschutz, die Reduktion von Tabak- und Zuckerkonsum usw.? Hat er wirklich Ideen für eine Nationale Public Health-Strategie oder bleibt es bei einem Bundesinstitut für Prävention „in der Medizin“, also womöglich einem Fokus auf Früherkennung von Krankheiten? Wie gedenkt er, darüber mit dem Finanzminister zu sprechen? Hat er den Bundeskanzler auf seiner Seite? Wie versucht er, die in der Öffentlichkeit mit wenig Aufmerksamkeit gesegneten Public Health-Themen trotz Ukrainekrieg auf die Agenda des Kabinetts zu hieven? Dazu hat Lauterbach leider so gut wie nichts gesagt, einen 10-Punkte-Plan gegen sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen hatte er nicht in der Tasche. Der Politiker Lauterbach blieb im Hintergrund.

Lauterbach hat statt dessen einmal mehr gezeigt, dass er mit der „Epistemisierung des Politischen“ (Bogner) zu punkten versteht. Das Kongress-Plenum hat lange applaudiert. Statt politischer Autorität wollte er wissenschaftliche Autorität ausstrahlen. Sein Job als Minister ist aber ein anderer. Der Verfassungsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz urteilt darüber in seinem Buch „Hoflieferanten. Wie sich Politik der Wissenschaft bedient und selbst daran zerbricht“ recht ungnädig (S. 81):

„Sich mit einer politischen Agenda und nicht mit dem eigenen fachlichen Spezialwissen zu identifizieren, ist eine persönliche Befähigung, die nicht alle haben. Ohne das funktioniert kollektive Aggregation und Durchsetzung von Interessen nicht. Politische Agenden in wissenschaftlichem Gewand sind (bestenfalls) schlechte Wissenschaft, wissenschaftliches Spezialistentum im politischen Gewand ist (bestenfalls) schlechte Politik.“

Aus diesem Rollenkonflikt hat Karl Lauterbach bisher nicht herausgefunden und vielleicht ist das mit ein Grund dafür, dass seine Reformen, trotz manch guter Ansätze, nicht so recht vorankommen, in der Gemengelage widerstreitender Interessen zu versanden drohen und er von erfahrenen Beobachtern als „Ankündigungsminister“ eingestuft wird.

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