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#Künstler Jeff Wall in Basel: Blow up der Seelendinge

55 von 195 Werken: Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel widmet dem kanadischen Künstler Jeff Wall eine Retrospektive der Sonderklasse. In dieser erst versteht man, was alles hinter den Bildern steckt.

Dass Fotografie heute ohne Wenn und Aber als Kunst akzeptiert wird, ist zu einem nicht geringen Teil das Verdienst des 1946 im kanadischen Vancouver geborenen Fotografen Jeff Wall. Seit den Siebzigerjahren hat er mit monumentalen, oft in Leuchtkästen detailscharf erhellten und erzählerischen Bildern der Fotografie Räumlichkeit und Tiefe verliehen. Jedes der 55 von insgesamt nur 195 in den vergangenen 45 Jahren entstandenen und seit dem Wochenende in der Basler Fondation Beyeler gezeigten Meisterwerke belegt Walls au­ßer­or­dent­lichen Status. Motivisch sind es narrative Historiengemälde der Gegenwart, da sie übersehene Szenen des Alltags ins Monumentale wenden; stilistisch sind sie dem Realismus zuzuordnen, jener Kunst, die lebendiger als das Leben wirkt, wie Wall selbst den Stil definiert.

Surreale Historien des Alltags mit offenem Ausgang

Auf viele Betrachter wirken die großformatigen Fotos wie gemalt, was nicht zuletzt daran liegt, dass Wall ab 1970 in London Kunstgeschichte studierte, seine Abschlussarbeit über den Dadaliten Raoul Hausmann verfasste und eine Dok­tor­ar­beit über Duchamp als Erfinder der Konzeptkunst begann. Seinem fotografischen Erstlingswerk „Destroyed Room“ aus dem Jahr 1978 sieht man die theoretische Durchdringung und Konstruiertheit aus dem Geiste Duchamps durchaus an. Wenig verwunderlich, dass er in seinen Kompositionen nichts dem Zufall überlässt und bis zu einem Jahr an seinen Historienbildern im Breitleinwandformat arrangiert.

Inhaltlich bestimmt das Kinematographische die Werke, da Wall vor der vollständigen Hinwendung zur Fotografie Experimentalfilme drehte und in jedem seiner Bilder, die stets wie ein angehaltener Film und ein eingefrorenes Bild aus diesem wirken, ein Vorher und ein Nachher offeriert. Das plastischste Beispiel dafür ist das 187 mal 229 Zentimeter messende Bild „Milk“ von 1984, auf dem ein junger Mann auf dem Boden vor einer mit beigen Klinkern streng gerasterten und fensterlosen Hausfassade kauert und eine braune Papiertüte in der Rechten hält, aus der Milch einen halben Meter weit herausspritzt und wie eine Marmorskulptur von Alexander Calder in der Luft zu stocken scheint. Der sture Blick und der wie zur Verteidigung vor den Körper genommene Unterarm mit heraustretenden Adern lassen spüren, dass dem Mann zuvor etwas widerfahren sein muss, das ihn aggressiv werden ließ, was aber nicht zu sehen, sondern nur zu imaginieren ist.

Wall nutzt hier das künstlerische Mittel der Pathosformel – seit der Antike eingesetzte Gesten und bewegtes Beiwerk wie aufflatternde Tücher –, um innere ­­En­er­gien und psychische Anspannung sichtbar zu machen. Die scheinbar so unschuldige Milch statt der üblicherweise in Brown­bags aus Papier eingepackten Alkoholika explodiert anstelle des jungen Manns. Surreal bleibt die wie eingefroren in der Luft stehende Milch, von der der Verursacher keinerlei Notiz zu nehmen scheint, indem er in die entgegengesetzte Richtung blickt. Überhaupt eignet den Bildern Walls mit stets offenem Ausgang häufig etwas Surreales, sei es in der Lichtsetzung, sei es in einer befremdenden, sich nie vollständig erschließenden oder gar auflösenden Erzählung.

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