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#Kuwait befindet sich im freien Fall

„Kuwait befindet sich im freien Fall“

Während Sulayman al-Bassam gefeiert wurde, wo er auch auftrat, lief es in seiner Heimat in Kuwait nicht besonders gut: Beim Theaterfestival in Kairo gewann er mit seinem jüngsten Stück „I Medea“ einen Preis, in Tunis bekam er gleich drei Preise, und in Beirut spielte er vor vollem Haus. Aber in Kuwait, wo er in diesem Frühjahr eigentlich an drei Abenden eingeladen war, auf der größten Bühne des kleinen Landes zu spielen, musste er seine Auftritte letztlich absagen. „Sie haben die ganze Sache unmöglich gemacht“, sagt er nun, in der Abendsonne sitzend, welche die bröckelnde Fassade des Beiruter Restaurants in warmes Licht hüllt.

Unmöglich, indem die kuwaitischen Be­hören die zum Zweck der Verzögerung und Verunsicherung in dieser Weltgegend sehr geschätzten „Komitees“ einsetzten, die alle erst ihrer etwas undurchsichtigen Arbeit nachgehen mussten, bevor er auftreten durfte. „Ich sage es immer wieder“, meint er, „es kommen keine Polizisten, die einen ins Gefängnis stecken.“ Zensur habe eine subtilere Form: „Eine, die dem anderen immer die Möglichkeit lässt zu sagen: Nein, nein, wir haben nichts zensiert.“

Medea, eine Flüchtlingsfrau in Europa

Sulayman al-Bassam wollte mit „I Me­dea“ ein Stück aufführen, das den klassischen Stoff in ein Drama verwandelt, in dem Medea als arabische Flüchtlingsfrau in Europa landet. Es bildet den zweiten Teil seiner „Ikarus-Trilogie“, deren erster Teil „Ur“ vor vier Jahren am Residenztheater in München Premiere feierte. Wie häufig bei diesem Dramaturgen ist auch „I Medea“ eine sehr politische Arbeit. Seine Heldin ist eine unbeugsame Frau, die an­gesichts von Islamophobie und orientalistischen Klischees in Europa ihre Identität verliert und sich als Flüchtling in einer so­zialen Schicht wiederfindet, aus der es kaum ein Entkommen gibt. Die Gegend, aus der sie stammt, wird derweil von Korruption und einer pervertierten Religio­sität zersetzt, die den Glauben zu politischen Zwecken missbraucht.

Die Kritik von Sulayman al-Bassam zielt in beide Richtungen, nach Osten und Westen. Das erspart ihm den in der ara­bischen Szene zuweilen kursierenden Vorwurf, ein Theater zu produzieren, das westliche Vorstellungen bedient – um leichter auf die dortigen Bühnen zu gelangen. Und es bringt ihn in Schwierigkeiten, wie in Kuwait. Sulayman al-Bassam selbst tritt in seinem Stück, das in dieser Woche auch bei den „Arabischen Theatertagen“ in Hannover zu sehen sein wird, abwechselnd als Iason, Kreon und als Autor auf. Seine Gegenspielerin wird von Hala Om­ran verkörpert, die aus einer alten syrischen Künstlerfamilie stammt und ihre Heimat zu Beginn des Krieges verlassen hat.

Die Einsamkeit ihrer Medea auf der Bühne ist vollkommen. Ihre Sprache, ein arabischer Dialekt aus einem palästinen­sischen Dorf, der selbst von arabischen Zu­hörern kaum zu lokalisieren ist, bietet ebenso wenig Halt wie das minimalis­tische Bühnenbild. Dieser Minimalismus ist neu im Repertoire von Sulayman al-Bassam, und er ist nicht nur das Ergebnis einer von der Pandemie veränderten Ar­beitsweise. Er drückt einen Wunsch nach größerer Autonomie aus, denn so bedeutend es natürlich war, vor knapp zehn Jahren mit „Rituel pour une métamorphose“ (2013) ins Repertoire der Comédie Française in Paris aufgenommen zu werden, als erster Autor aus der arabischen Welt, so reizt ihn doch die Möglichkeit, mit kleineren, weniger aufwendigen Produktionen auf sich wandelnde Umstände zu re­agieren. Auch wenn das in weiten Teilen der arabischen Welt bedeutet, noch mehr als Bedrohung wahrgenommen zu werden.

Kultur als Feigenblatt

In Kuwait zahlte sich dieser Minimalismus aus. Statt im „Sheikh Jaber Al-Ahmed Cultural Center“ aufzutreten, auf des­sen Webseite Sulayman al-Bassam immerhin als „international renommierter Dramaturg und Regisseur“ angekündigt war, wich er in ein privates Kulturzentrum aus. Dort hatte er einen befreundeten Schauspieler gebeten, vor dem Beginn der Aufführung in einem kurzen Prolog die merkwürdigen Umstände des Zusammenkommens zu erklären – ohne Ticketschalter, mit privater Einladung, ohne Lizenz. Ein kurze Improvisation in seinem Stück nutzte er außerdem, um auf den kürzlich in Ku­wait erfolgten Freispruch eines früheren Premierministers einzugehen, der im Land für Aufsehen gesorgt hatte. Der Po­litiker, der wegen Korruption angeklagt war, hatte eine Weile im Gefängnis verbracht, bevor er wieder freikam. „Kuwait befindet sich im freien Fall“, sagt Sulayman al-Bassam, der sich als Patriot be­zeichnet, aber nicht als Nationalist. Die Kultur sei, wie überall am Golf, zum Zweck des sich Reinwaschens adoptiert worden, worauf der Westen angesichts des vielen Geldes auch noch mit Begeisterung reagiere.

Auch in Kuwait seien in den vergangenen Jahren enorme Häuser entstanden, allerdings ohne dass sich jemand gefragt hätte: „Was heißt das eigentlich, ein Ge­bäude für ein Nationaltheater zu bauen, wenn es gar kein Nationaltheater gibt? Oder ein Gebäude für die Nationaloper ohne Orchester?“ Allein das „SheikhJaber Al-Ahmed Cultural Center“, das 2016 eröffnet wurde, zählt zweitausend Plätze. Und es ist nicht das Einzige seiner Art. „Ich“, sagt Sulayman al-Bassam in seinem hellblauen Leinenanzug, mit Strohhut und Yves-Saint-Laurent-Sonnenbrille, die er nicht absetzt, „ich bin ein Shakespeare’scher Beduine ohne wirklich festen Wohnsitz, und mir das Hemd zu be­schmutzen mit diesen Leuten . . .“. Er spricht nicht zu Ende. Aber er hat ja auch alles Wesent­liche gesagt.

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