Nachrichten

#Michel Friedman: „Schindler hat etwas getan, und dadurch lebe auch ich“

Michel Friedman ist Jurist, Publizist und Autor. Im Interview spricht er über die Ambivalenz von Oskar Schindler, über Judenhass in Deutschland – und darüber, was er tun würde, wenn die AfD in der Bundesregierung wäre.

Herr Friedman, in Ihrem jüngsten Buch beklagen Sie bitterlich die mangelhafte Reaktion der deutschen Mehrheitsgesellschaft auf die Angriffe der Hamas auf Israel. Was für eine Reaktion hätten Sie sich gewünscht?

Eine menschliche. In diesem Land gab es Leute, die den Angriff und seine menschenverachtenden Methoden gefeiert haben, indem sie auf den Straßen „Tod den Juden!“ skandiert haben. Dagegen hätten Menschen eine empathische, solidarische Reaktion zeigen können und müssen – und das hat nicht stattgefunden. Die größte Demonstration der Solidarität in Deutschland fand am Brandenburger Tor statt. Dahin waren vielleicht 15.000 Menschen gekommen. Enttäuschend.

„Wie erbärmlich“, heißt es im Buch.

Um es zu pointieren: Bei der Willy-Brandt-Rede ein paar Wochen nach dem Angriff habe ich in das Auditorium hinein gesagt: „Wie schön, dass ich Sie alle mal wiedersehe! Ich habe mir schon Sorgen um Sie gemacht. Ich dachte, Sie sind vielleicht krank, oder irgendetwas Schlimmes ist passiert. Ich habe sogar eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Ich habe Sie nämlich gebraucht. Wo waren Sie?“ Das fragte ich als Jude, als Bürger, als Mensch. Das war der Moment des Schmerzes, der Moment des Alleingelassenseins.

Sie haben auch einen Verdacht, einen bösen: „Kann es sein, dass die Empathie nicht funktioniert, wenn es um Jüdinnen und Juden geht?“

Ich würde diesen Satz, wenn Sie erlauben, unbeantwortet stehen lassen, und überlasse den Lesern die Antwort.

Woher kommt diese Haltung? Ist das etwas, was man noch aus dem „Dritten Reich“ kennt, wo aus den Mordphantasien am Ende die reale Ermordung von Millionen wurde?

Ob die Mehrheit der Deutschen im „Dritten Reich“ verstand, was der Endpunkt der vielfach propagierten Gewalt gegen Juden sein würde – nämlich Auschwitz und die Ermordung aller Juden –, kann man auch im Nachhinein nicht endgültig entscheiden. Aber was man sagen kann, ist, dass es für die vielen Anfangspunkte dieser Gewalt eine große Mehrheit gab, die es infolge der judenfeindlichen Stereotype und Vorurteile bereits gewohnt und dafür zu haben war, dass man Juden eben doch nicht behandelte wie alle anderen Menschen auch. Adorno spricht vom „Gerücht über die Juden“; Christen hörten jahrhundertelang die Geschichte, wie Jesus von Juden ermordet wurde, und auch im Islam ist Judenhass Teil der Erzählung. So entstand eine Art vermeintlich kulturelles Gedächtnis. Es ist das, was wir von Generation zu Generation weitergeben. Es reicht, dass ein Kind mit drei oder vier Jahren hört, wie der Vater, die Mutter, der Onkel oder wer auch immer sagt: „So sind sie eben, die Juden. Mit denen stimmt etwas nicht.“

Was folgt daraus?

Der Antisemitismus, der Judenhass ist keine Erfindung der Deutschen. Aber Auschwitz ist eine Erfindung der Deutschen. Und nach Auschwitz hätte es so sein müssen, dass der Antisemitismus in Deutschland in der Form, wie wir ihn heute erleben, gar nicht mehr so virulent sein dürfte – oder falls er doch vorkommt, eine ganz andere Gegenreaktion erfährt. Ich bin sehr skeptisch, ob die oft beschworene Erinnerungskultur in Deutschland wirklich stattgefunden hat und stattfindet. Tatsache ist, dass in den allermeisten Familien geschwiegen wurde – „die zweite Schuld“ der Deutschen, wie Ralph Giordano sagte.

Haben Ihnen die Massendemos gegen Rechtsextremismus vergangene Woche Mut gemacht?

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!