Wissenschaft

#Molekulare Spritze injiziert Wirkstoffe in Zellen

Selbst die besten Therapeutika können nur wirken, wenn sie im Körper an die richtige Stelle gelangen. Dafür haben Forscher nun ein innovatives System entwickelt: Sie haben eine molekulare Spritze aus Bakterien so modifiziert, dass sie mit verschiedenen Frachtproteinen beladen werden kann und spezifisch an ausgewählte Zielstrukturen bindet. In Zellkulturen mit menschlichen Zellen und bei Versuchen mit lebenden Mäusen hat sich die Technik als vielversprechend erwiesen. Falls weitere Studien ebenfalls erfolgreich verlaufen, könnte die Nano-Spritze zukünftig neue Therapiemöglichkeiten eröffnen, beispielsweise im Kampf gegen Krebs oder bei Gentherapien.

Bakterien haben vielfältige Taktiken entwickelt, um Proteine in die Zellen ihrer Wirte zu befördern. Bakterien der Gattung Photorhabdus nutzen dazu ein sogenanntes extrazelluläres kontraktiles Injektionssystem (eCIS). Dabei handelt es sich um eine Art Nano-Spritzen, die mit einem Gift beladen sind und von den Bakterien in ihre Umgebung freigesetzt werden. Treffen die kleinen Gifttransporter auf ihr Ziel – im Fall von Photorhabdus sind das die Zellen von Insekten – binden sie an bestimmte Oberflächenstrukturen und injizieren ihre Fracht in die Zelle. Die befallenen Zellen sterben daraufhin ab. Da Photorhabdus auf diese Weise wirkungsvoll Insekten tötet, wird das Bakterium in der Landwirtschaft als natürliches Pestizid eingesetzt.

Injektionssystem für Zellen

Eine Weiterentwicklung des Systems könnte nun womöglich die Medizin revolutionieren. „Der Transport therapeutischer Moleküle ist ein großer Engpass in der Medizin und wir brauchen eine breite Palette von Möglichkeiten, um diese wirksamen neuen Therapien in die richtigen Zellen im Körper zu bringen“, sagt Feng Zhang vom Broad Institute des MIT und Harvard in Cambridge. Das Injektionssystem von Photorhabdus bot ihm, Erstautor Joseph Kreitz und ihrem Team eine vielversprechende Basis. „Indem wir gelernt haben, wie die Natur Proteine transportiert, waren wir in der Lage, eine neue Plattform zu entwickeln, die helfen kann, diese Lücke zu schließen“, so Zhang.

Auf dem Weg zu diesem Ziel analysierte das Forschungsteam das bakterielle Injektionssystem zunächst im Detail – und stieß auf eine nützliche Eigenschaft: Die etwa 100 Nanometer langen, spritzenartigen Konstrukte sind modular aufgebaut. Bei der sogenannten Photorhabdus-Virulenzkassette (PVC) ist eine Schwanzfaser dafür zuständig, spezifische Strukturen auf der Zielzelle zu erkennen und daran zu binden. Die Proteinfracht ist unabhängig von dem genauen Aufbau der Schwanzfaser und befindet sich in einer Röhre innerhalb einer Hülle. Nachdem die Maschine an einer Zelle angedockt hat, zieht sich diese Röhre zusammen und presst dabei ihre Ladung mechanisch ins Innere der Zelle.

Krebszellen in Zellkultur getötet

Mit Hilfe des lernfähigen KI-Systems AlphaFold, das die dreidimensionale Struktur von Proteinen anhand der Aminosäuresequenz vorhersagen kann, entwickelte das Forschungsteam modifizierte Schwanzfasern, die statt Insektenzellen bestimmte Strukturen auf menschlichen Zellen erkennen. „Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie Protein-Engineering die biologische Aktivität eines natürlichen Systems verändern kann“, sagt Kreitz. „Unsere Arbeit bestätigt, dass Protein-Engineering ein nützliches Werkzeug im Bioengineering und bei der Entwicklung neuer therapeutischer Systeme ist.“

Für einen Machbarkeitstest gestalteten die Forscher die Schwanzfasern so, dass sie einen bestimmten Rezeptor erkennen, der typisch für menschliche Krebszellen ist. Zusätzlich zeigten sie, dass sie die molekulare Spritze mit unterschiedlichen Arten von Proteinen beladen können – darunter Toxine gegen Tumorzellen sowie das DNA-schneidende Enzym Cas9, das beim Gen-Editing verwendet wird. Gaben sie auf Krebszellen programmierte Nano-Spritzen, die mit einem Chemotherapeutikum beladen waren, zu einer Zellkultur mit menschlichen Krebszellen hinzu, töteten diese nahezu alle Krebszellen zuverlässig ab, ohne dabei andere Zellen zu beeinträchtigen. In Versuchen mit anderen Zielstrukturen und Frachten war das System nicht ganz so effizient, aber ebenfalls vielversprechend.

Erfolgreich im lebenden Organismus

Um zu testen, ob sich eCIS auch in lebenden Organismen einsetzen lässt, injizierte das Team entsprechend programmierte molekulare Spritzen direkt in das Gehirn lebender Mäuse. In diesem Fall waren die Schwanzfasern auf die Hirnzellen der Mäuse zugeschnitten und enthielten als Fracht ein grün fluoreszierendes Protein. Und tatsächlich: Grünes Leuchten in den Gehirnen der Mäuse zeigte an, dass der Transfer erfolgreich war. Folgeuntersuchungen nach einem Tag ergaben, dass an der Außenseite einiger Mäuse-Hirnzellen noch die leeren Spritzen hafteten. Nach einer Woche hingegen waren solche Reste nicht mehr nachweisbar. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass die Nano-Maschinen innerhalb kurzer Zeit vom Körper abgebaut werden.

Immunreaktionen auf die Fremdkörper stellte das Team nicht fest. „Allerdings haben sie die PVCs direkt ins Hirn gespritzt und dort erwartet man eher eine geringe Immunantwort“, gibt Stefan Raunser vom Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund zu bedenken, der nicht an der Studie beteiligt war. „Ich kann mir vorstellen, dass die PVCs doch eine Immunantwort auslösen, wenn sie zum Beispiel ins Blut appliziert werden.“

Weitere Herausforderungen

Auch weitere potenzielle Hindernisse gilt es noch zu überwinden, bevor das System möglicherweise therapeutisch genutzt werden kann. „Die Größe des PVC-Proteins hat den Nachteil, dass dadurch das Vordringen in dichte Gewebe, wie zum Beispiel bei soliden Tumoren, erschwert wird“, erklärt Raunser. Zudem sind die Rezeptoren auf der Zelloberfläche von Tumorzellen nicht immer eindeutig von denen gesunder Körperzellen zu unterscheiden. Je nach Krebsart könnte es somit schwierig werden, Zielstrukturen zu finden, die für die Tumorzellen spezifisch sind. „Diese Problematik ist mit dieser Methode nicht gelöst und man muss damit rechnen, dass es dadurch viele Off-Targets gibt“, so Raunser.

Kreitz geht davon aus, dass das eCIS-System in Zukunft deutlich weiter entwickelt werden kann, um beispielsweise außer Proteinen auch andere Frachten wie DNA oder RNA zu transportieren und noch genauer an Zielzellen zu binden. „Wir und andere haben gezeigt, dass diese Art von Systemen in der Biosphäre unglaublich vielfältig ist, aber sie sind nicht sehr gut charakterisiert“, sagt er. „Wir glauben, dass diese Art von Systemen sehr wichtige Rollen in der Biologie spielen, die noch erforscht werden müssen.“

Quelle: Joseph Kreitz (Broad Institute of MIT and Harvard, Cambridge, USA) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-023-05870-7

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