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#Hambi-Hype und Kohle-Farce – ein Kommentar

Hambi-Hype und Kohle-Farce – ein Kommentar

Schnell, schneller, am schnellsten. Nach dem Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts ist es den Grünen gelungen, Union und SPD in einen neuen Wettlauf um den Kohleausstieg zu zwingen. Nicht spätestens 2038 – wie erst vor wenigen Monaten beschlossen – soll Schluss sein mit der Verstromung des fossilen Energieträgers, sondern acht Jahre früher. Grundsätzlich leuchtet das ein, weil das Verfeuern von (Braun-) Kohle die bei Weitem klimaschädlichste Form der Stromerzeugung ist. Will man in großen Schritten den CO2-Ausstoß reduzieren, liegt es nahe, so rasch wie nur möglich anzusetzen. Eigentlich.

Auf dem Weg der von vielen Widersprüchen geprägten Energiewende sind entscheidende Probleme nicht gelöst. Noch immer mangelt es etwa an Stromnetzen und Speicherkapazitäten, die auf erneuerbare Energien ausgerichtet sind. Um das zu kompensieren, braucht man eine Brückentechnik. Viele Länder haben sich entschieden, zunächst an der Atomkraft festzuhalten, weil das Ziel sein muss, unter allen Umständen die Erderwärmung zu begrenzen, um eine globale Katastrophe abzuwenden. Auch bei Klimaschützern erlebt die Atomkraft deshalb gerade eine Renaissance. Nur nicht in Deutschland.

Politisch-moralisches Sperrgebiet

Womit man wieder bei den Grünen ist. Über den Kampf gegen die Atomkraft entstand einst die Partei. Im Laufe der Jahrzehnte gelang es ihr, den Atomausstieg als unumstößlichen Glaubensgrundsatz immer fester und breiter in der Gesellschaft zu verankern. Die letzte Pointe war: Unter dem Eindruck der Tsunami-Folgen im japanischen Fukushima vor zehn Jahren beschleunigte eine ursprünglich atomfreundliche schwarz-gelbe Bundesregierung den Anfang des Jahrtausends von Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg noch einmal. 2022, also im kommenden Jahr, ist Schluss.

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Seit Fukushima ist die Kernkraft in Deutschland zum politisch-moralischen Sperrgebiet geworden. Das hatte einen happigen Preis: Klimakiller Kohle avancierte plötzlich zur Brückentechnik. En passant legte sich Deutschland auf eine klimaschädliche Ausstiegsreihenfolge fest.

Wie Maßstäbe und Prioritäten verrutschen, zeigt sich nun auch beim Kohleausstieg. Jahrzehntelang kämpften die Grünen in Nordrhein-Westfalen gegen Garzweiler II. Vor sieben Jahren gelang es ihnen, dem damaligen Koalitionspartner SPD eine Verkleinerung des Braunkohletagebaus im Rheinischen Revier abzutrotzen. Ein historischer Erfolg, zumal die Heimat von 1400 Anwohnern nicht abgebaggert wird.

Fünf weitere Dörfer hätte man retten können

Dafür waren die Grünen bereit, eine bittere Pille zu schlucken: Sie stimmten der Abholzung des Hambacher Forsts zu. An diesen Kompromiss hätte man anknüpfen müssen, als die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission 2018 darum rang, den Ausstieg von 2045 auf 2038 vorzuziehen. Eine weitere drastische Verkleinerung von Garzweiler II hätte erreicht werden können, fünf weitere Dörfer hätte man retten können.

Doch nun waren Umweltverbände und auch die Grünen auf den „Hambi“ fixiert. Um möglichst rasch Druck auf die Kohlekommission aufzubauen, pushten sie das Wäldchen am Tagebau Hambach nach allen Regeln der modernen Kampagne-Ökonomie zum neuen klimapolitischen Symbol. 2018 überrollte der Hambi-Hype die Politik. So kam es, dass Bäume wichtiger wurden als Menschen und ihre Dörfer.

Anders als von manchem behauptet, gibt es nach dem Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts keinen politischen Zwang, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen. Der mühsam ausgehandelte Kompromiss entspricht im Gegenteil den vom Gericht definierten Auflagen zur Generationengerechtigkeit: Der Löwenanteil der Kraftwerksschließungen und damit der Kohlendioxidminderung findet schon bis 2030 statt. Der Kohleausstieg gelingt also wahrscheinlich schon früher. Das liegt aber nicht am Ausstiegsgesetz, sondern am Emissionshandel und an den EU-Klimazielen, die Kohle schneller unwirtschaftlich machen.

Kommt der Ausstieg schon 2035?

Umso eher wird eine im Gesetz vorgesehene Option greifen: Die allerletzten Kraftwerke können vom Staat schon 2035 stillgelegt werden, ohne dass die Energieversorger in den west- und ostdeutschen Revieren dafür zusätzliche Entschädigungen verlangen können. Zudem bleiben sie in der Pflicht, die Tagebaue zu rekultivieren – ein Grund mehr, warum es fahrlässig ist, den Kohlekompromiss aus einer Wahlkampfstimmung heraus in Frage zu stellen. Die Menschen in den betroffenen Regionen haben ein Anrecht darauf, dass ihre durchwühlten Landschaften wieder hergerichtet werden.

Die während des Hambi-Hypes aus dem Blick der Politik geratenen Anwohner der fünf Orte am Tagebaurand von Garzweiler jedoch trifft es bitter. Selbst wenn der Ausstieg schon 2030 stattfinden sollte, bringt ihnen das nichts mehr. Ihren langen Kampf um die Heimat haben die meisten mittlerweile aufgegeben. Mehr als 86 Prozent der Grundstückseigentümer in den fünf Orten haben schon an den Energiekonzern RWE verkauft. Immer mehr Häuser stehen leer – und werden nun vielleicht doch nicht abgebaggert.

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