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#Phönix feiert im dunklen Feuer

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Phönix feiert im dunklen Feuer

Im August des Sommers 1969 wird nicht nur siebzig Kilometer südwestlich von Woodstock Musikgeschichte geschrieben. Auch im Mount Morris Park (heute Marcus Garvey Park), Harlem, New York, passiert etwas, das die, die dabei waren, bis heute als lebensleitendes Leuchtfeuer empfinden. Nur wissen bis heute vergleichsweise wenige Menschen davon: Das Harlem Cultural Festival feierte vom 29. Juni bis zum 24. August 1969 jeden Sonntag afroamerikanische Musik. Stevie Wonder, der dort neben Musik-Titanen wie B.B. King, Sly and the Family Stone und Mahalia Jackson die Menge vor der Bühne in die Ekstase spielte, sagt über die Zeit: „69 war das Jahr, in dem der Negro starb und der Schwarze geboren wurde.“

Doch anders als Woodstock brannte sich dieses Festival nicht ins kulturelle Weltgedächtnis. Zwar brachte der Sender Metromedia Channel 5 (WNEW-TV) einstündige Zusammenschnitte, doch der Großteil des vom Team des Regisseurs Hal Tulchin aufgenommenen Materials, fand nie den Weg in abendfüllende Filmformate, um so zum Klassiker des Musikfilms zu avancieren. Diese Chance kommt nun mit mehr als fünfzig Jahren Verspätung. Man kann es als glückliches Schicksal betrachten, dass die vierzig Stunden Material über den Produzenten Robert Fyvolent den Weg in die Hände des Tausendsassas Questlove von der Hip-Hop-Formation „The Roots“ fanden. Dieser hat daraus einen dokumentarischen Musikfilm gemacht, der durch sein präzise ausgetüfteltes Zusammenspiel von Schnitt und Ton brilliert, dem Material von Tulchin aber auch Raum gibt, damit es seine ganze Wucht entfalten kann.

Hatte nicht nur damals ordentlich Wut im Bauch: Nina Simone beim Harlem Cultural Festival


Hatte nicht nur damals ordentlich Wut im Bauch: Nina Simone beim Harlem Cultural Festival
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Bild: Disney

Diese zog Tulchin aus einer Nähe, wie sie in Aufnahmen dieser Art selten ist: Während Gesang zu Gospel, zu Trance, zu Ekstase wird, holen Tulchins Kameraleute die Gesichter der Künstler ganz nah an die Linse. Wir sehen den Schweiß, die Make-Up-Schichten, die fest geschlossenen Augen, die Tränen der Künstler, die ihre Freude aber auch ihre Wut in Musik verwandeln. Tulchin und Questlove zeigen jedoch auch, was mit dem Publikum passiert. So viele Gesichter, so viele Arten, auf das Gehörte zu reagieren, oder aber darauf, dass man gerade gefilmt wird – und schnell noch das Kleine ins Bild zerrt. Das uralte musikalische Muster von Ruf und Antwort wird bildlich aufgefangen. Dazwischen, darüber und darunter: dezent eingepasste Bilder von Zeitzeugen, Musikern, politischen Ereignissen, schwarzem Alltag.

Zu Beginn wird dem Besucher Musa Jackson die Frage gestellt: „Erinnern Sie sich an das Harlem Cultural Festival im Sommer 69?“. Die Kamera hält nun auf das Gesicht, dem man ansieht, wie Jackson in diesem Moment zurückreist – statt seiner Antwort kommen die ersten unkommentierten Bilder des Veranstaltungsortes. Später sagt Jackson: „Ich habe noch nie so viele von uns auf einmal gesehen.“

„Hear my cry, hear my call.“

Nicht nur Stevie Wonder beschreibt das Jahr 1969 als Wendepunkt. Der ganze Film versucht zu zeigen, wie sich Schwarze in dieser Zeit ein neues Selbstbewusstsein erkämpften. Vorbei die Zeit, in der man mit Anzug und Krawatte versuchte, weißer zu sein als die Weißen, ohne es ihnen je Recht machen zu können. Am Anfang stehen jene, die auf diesem Weg starben. Der Film zieht eine Todeslinie von John F. Kennedy (1963, Dallas) bis Martin Luther King (1968, Memphis).

Eine der stärksten Szene zeigt den Moment, in dem der Bürgerrechtler Jesse Jackson „Schwester Mahalia Jackson“ bittet, zum Gedenken an „Dr. King“ dessen Lieblingsgospel „Take My Hand, Precious Lord“ zu singen. Die Sängerin Mavis Staples (Pops Staples & The Staple Singers) erinnert sich: „Mahalia kam zu mir und sagte, ‚ich fühle mich nicht so gut heute, würdest Du mir helfen?’“ Sie half – und wie. Im Film erzählt Jackson zuvor die Geschichte vom Tag, an dem sein Freund „Dr. King“ erschossen wurde. Wir sehen ein Publikum, das nicht aufgebracht wirkt, sondern ergriffen von einer Müdigkeit, wie sie mühsam unterdrückter Zorn und Trauer auslösen. Dann beginnt Mavis Staples zu singen. „Hear my cry, hear my call.“ Mahalia Jackson kommt hinzu. Beide recken die Fäuste gen Himmel. Die Kamera hat für einen Moment nur diese geballten Fäuste im Blick und obwohl man die Gesichter nicht sieht, bekommt man eine ungefähre Ahnung davon, welchen glühenden Schmerz sich die schwarze Gemeinschaft da gerade von der Seele singt.

Erklärte der Menge mal gepflegt, warum er den Blues sang: der junge B.B. King


Erklärte der Menge mal gepflegt, warum er den Blues sang: der junge B.B. King
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Bild: Disney

Nina Simone gibt sich radikaler, voll schöpferischer Wut, die jedoch vor Vernichtung nicht zurückschreckt. Sie kommt wie eine Naturgewalt über das Publikum, um mit den Worten des Dichters, Musikers und Rap-Pioniers David Nelson (The Last Poets) zu fragen: „Seid ihr bereit, Dinge zu zerschmettern und Gebäude niederzubrennen?“

Ein weiteres Kunststück, das hier gelingt, ist nicht nur, die berechtigte Wut einer diskriminierten Minderheit mit einer allumfassenden Musik und Bildern zu verbinden, die jedem, der „Soul“ hat, nach wenigen Takten die Herzmuskelfasern zurechtzupft, sondern en passant den Größenwahn der neuen weißen, spielzeugraketenreitenden Cowboys unserer Ära zu kommentieren: Die Mondlandung am 20. Juli 1969 wird auf einmalige Weise mit dem Song der Staple Singers „It’s been a Change“ zusammengeschnitten. Zur Mondlandung befragt, erklärt ein Besucher völlig desinteressiert: „Vergiss den Mond! Lass uns den Zaster (das Geld für die Kosten des Raumfahrtprogramms) an ein paar arme Seelen aus Harlem verteilen.“ Als wüsste er bereits, dass fünfzig Jahre später ein Exzentriker wie Jeff Bezos sein Geld in den Himmel bläst, um sich einen Traum zu erfüllen.

Mit „Summer of Soul“ gelingt also das, was Poesie in ihren stärksten Momenten zu leisten vermag: Ein Durcheinander aus komplexen Sachverhalten zu einem Schlüsselmoment zu verdichten, der neue Realitäten aufschließt. Der Film endet mit den Worten Musa Jacksons: „How beautiful it was“. Fast wie bei einer interessanten CD, lohnt es sich jedoch, den Abspann noch etwas laufen zu lassen.

Summer of Soul läuft bei Disney+.

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