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#Pöbeleien und Drohungen sind längst Alltag

Pöbeleien und Drohungen sind längst Alltag

Zum Arbeitsalltag der Gerichtsvollzieher gehören Beleidigungen genauso dazu wie der Kuckuck. Und in den Jobcentern und Arbeitsagenturen in Hessen sitzen kaum Männer und Frauen, die sich an ihrem Arbeitsplatz nicht schon Pöbeleien und Drohungen anhören mussten – mindestens. Bei den Mitarbeitern hinterlässt das Spuren, denjenigen, die sich die Regelverletzungen erlauben, geschieht meist nichts.

Inga Janović

Diesen Eindruck vermittelt zumindest eine Studie der Gießener Professorin für Kriminalistik, Britta Bannenberg, die sie im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes Hessen erarbeitet und am Dienstag vorgestellt hat. Er deckt sich mit den Umfrageergebnissen, die Bannenberg vor einem Jahr vorgelegt hatte. Damals waren rund 2000 Mitarbeiter im öffentlichen Dienst nach ihren Erfahrungen mit Aggression und Gewalt befragt worden. Schon in dieser Analyse fielen die Angaben bestimmter Berufsgruppen auf: 97,7Prozent der Gerichtsvollzieher hatten berichtet, dass sie in ihrem Berufsleben Gewalt erlebt haben, worunter die Forscher unter anderem verbale Beleidigungen (bestätigten 86Prozent), Anspucken (13,9), körperliche Angriffe (60) und sogar Tötungsversuche zählen. Bei letzterem lag die Quote der Gerichtsvollzieher, die das schon erlebt haben, mit 11,1Prozent höher als die der befragten Polizisten, die 10,4Prozent betrug.

Den Mitarbeitern von Jobcentern und Arbeitsagenturen wird seltener nach dem Leben getrachtet, auffällig bei ihren Angaben schien vor einem Jahr, dass mehr als 90 Prozent angaben, am Arbeitsplatz schon beleidigt worden zu sein, drei von vier Befragten berichteten zudem von verbalen oder körperlichen Bedrohungen.

Im eigenen Büro eingesperrt und geschlagen

Was hinter diesen Prozentzahlen steckt, berichteten zwei Dutzend freiwillige Teilnehmer aus den drei Berufsgruppen für die Folgestudie in teilweise mehrstündigen Interviews. Die Mehrheit von ihnen arbeitet in Hessen. Alle Befragten äußerten, Gewalt und Aggression nähmen zu, ihre Schilderungen sind teilweise drastisch: So schilderte die Mitarbeiterin einer Arbeitsagentur, wie sie mit ihrem Teamleiter von einem herumbrüllenden Mann im eigenen Büro eingesperrt worden war, der Mann habe sie geschlagen. Erst die Polizei konnte die Beamten befreien.

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Ähnliche Schilderungen gibt es aus den Jobcentern. Eine andere Bedienstete einer Arbeitsagentur wird die Erinnerung an den Tag nicht los, an dem ein Mann bereits am Empfang ausgerastet war und einen Monitor nach ihr warf. Äußerlich kam sie mit einer Platzwunde davon, innerlich saß der Schock so tief, dass die Frau einige Zeit krank zu Hause bleiben musste. „Gewalt zu erleben, wenn man Gewalt nicht kennt, ist immer ein Schock“, sagte Bannenberg bei der Vorstellung der Studie.

Noch bedrückender sind Schilderungen von Gerichtsvollziehern, die in vielen Fällen allein bei Menschen vorsprechen, um Schuldtitel oder ähnliches zu vollstrecken. Besonders schlimm endete ein solcher Einsatz für einen von ihnen: Ihm wurde von einem Schuldner mehrmals in den Kopf geschossen, der Mann ist seitdem ein Pflegefall. Gleich mehrfach berichteten Kollegen, Männer wie Frauen, dass sie in Privatwohnungen eingesperrt und mit einem Messer bedroht worden seien. Ein anderer Gerichtsvollzieher wurde von einem Schuldner eine Treppe hinuntergestoßen. Mehr als zwei Jahre habe er dafür kämpfen müssen, dass die daraus resultierenden Verletzungen als Dienstunfall anerkannt werden.

Konsequentere Strafverfolgung gefordert

Auch das ist ein Aspekt, der sich in den Interviews wiederholt: Die Betroffenen fühlen sich nicht selten mit den Folgen alleingelassen, empfinden ihre Vorgesetzten als teilnahmslos oder desinteressiert. Auch die Tatsache, dass sie eventuelle Strafanzeigen allein und als Privatpersonen stellen mussten, empfinden sie als belastend. In der Mehrheit der Fälle aber kommt es gar nicht zur Anzeige, auch weil Vorgesetzte Schreiereien oder Schubsereien als nicht so tragisch hinstellten – oder aber bei den Beteiligten die Hoffnung gering ist, dass Polizei und Staatsanwaltschaft dem Vorfall ernsthaft nachgehen.

Hier sei ein Ansatzpunkt, der den Betroffenen die Erfahrung von Gewaltausbrüchen zwar nicht ersparen, ihnen aber doch den Umgang mit den Folgen erleichtern könnte. Bannenbergs Studie enthält organisatorische und technische Vorschläge, wie die Arbeitssituation für die Bediensteten entschärft werden können. Auch der Beamtenbund hat in einem „Lebenslagenmodell“ erarbeitet,wie die Beschäftigten besser geschützt werden können.

Man sei darüber mit den Ministerien auf Landes- und Bundesebene im Gespräch, aber die Fortschritte seien bislang gering, sagte Heini Schmitt, Vorsitzender des Beamtenbundes in Hessen. Die Fraktionen von FDP und SPD im Landtag forderten als Reaktion auf die Studie eine konsequentere Strafverfolgung und Verurteilung von Übergriffen auf Mitarbeiter im Staatsdienst.

Kommentar zum Thema: Beleidigung als Berufsrisiko

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