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#Der große Abriss

Der große Abriss

Angela Merkel gilt als die Physikerin unter den Politikern. Es heißt, die Kanzlerin gründe ihre Entscheidungen auf rationale Erwägungen und denke „vom Ende her“. Was allerdings in der Woche nach der Atomkatastrophe von Fukushima passierte, fügt sich nicht in dieses Bild. Der Schock in Deutschland war für alle groß: weil Japan doch ein hochentwickeltes Land war, von dessen Kraftwerken man so etwas Schlimmes nie erwartet hätte. Die CDU im Besonderen war aber noch aus zwei anderen Gründen schockiert: weil sie nur wenige Monate vorher mittels einer Laufzeitverlängerung die Kernkraftwerke im ebenfalls hochentwickelten Deutschland für sicher erklärt hatte. Und weil Ende März 2011 der CDU-Politiker Stefan Mappus, ein entschiedener Befürworter der Kernkraft, die Landtagswahl in Baden-Württemberg bloß nicht verlieren durfte. Also musste der ganz große Befreiungsschlag her, der Ausstieg aus dem Noch-nicht-Ausstieg.

Reinhard Bingener

Reinhard Bingener

Politischer Korrespondent für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen mit Sitz in Hannover.

Timo Frasch

Das brachte die Beamten in den Ministerien arg ins Schwitzen. Sie sollten einen Stilllegungsbescheid entwerfen, der gegen mögliche Schadenersatzansprüche der Kraftwerksbetreiber gefeit war. Doch welche Risiken ließen sich eigentlich anführen, um ein Abschalten zu rechtfertigen? Guntram Finke, Leiter der Abteilung Kerntechnische Anlagen und Strahlenschutz im hessischen Umweltministerium, hatte sich schon am 12. März, einen Tag nach der Katastrophe, mit dem Präsidenten des Landesamtes für Umwelt und Geologie getroffen, um die Erdbeben- und Hochwassersituation am Kraftwerksstandort Biblis zu erörtern. Ergebnis: Aufgrund der Ereignisse von Fukushima bestehe „kein dringender Handlungsbedarf“.

Ganz ähnlich sah man das im Kernkraftwerk Gundremmingen, gelegen im bayerischen Landkreis Günzburg. Diplomingenieur Roman Glaser, inzwischen 66 und pensioniert, war Teilbereichsleiter Technik, zuständig für Rohre, Armaturen, Behälter und Lüftungen. In seiner Abteilung waren einige junge Leute, die frisch von der Universität kamen und die Kernkraft weiterhin für eine Zukunftstechnologie hielten. Die Havarie in Fukushima führte zu Unruhe. Aber schnell sei man sich sicher gewesen: Bei uns kann so etwas nicht passieren. Die Sicherheitsstandards, basierend auf den Prinzipien Redundanz und Diversität, seien höher als die in Fukushima gewesen. Glaser sagt, unmittelbar nach dem Unglück habe er in Kontakt gestanden mit anderen Kraftwerkern, in Finnland, Schweden, der Schweiz. Überall sei der Tenor gewesen: Wir schauen, was wir noch verbessern können – aber wir machen keine Schnellschüsse. „Wir dachten: Wenn die in anderen Ländern so denken, dann wird unsere Regierung in Berlin solche Gedankengänge vielleicht auch ins Kalkül ziehen.“ Sie täuschten sich.

„Japan ändert alles“, sagte Markus Söder

Der Landkreis Günzburg war damals fest in CSU-Hand. Der Landtagsabgeordnete Alfred Sauter unterhielt engste Verbindungen zur Bayerischen Staatsregierung. Sauter sagt, er habe in München auf die Kosten eines Ausstiegs hingewiesen. Aber es half nichts. „Wir hatten ja nicht viele Atomkraftwerke in Bayern. Es gab also nicht viele Kolleginnen und Kollegen, denen das unmittelbar in ihrem Stimm- oder Wahlkreis an die Nieren gegangen ist. Gegenüber denen, die betroffen waren, wurde Verständnis geäußert, aber es wurde auf das große Ganze hingewiesen.“ Markus Söder, seinerzeit bayerischer Umweltminister, sagte: „Japan ändert alles.“

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