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#Scheinheilig weich, diese Triller!

Scheinheilig weich, diese Triller!

Seit rund zwanzig Jahren beschäftigt sich der bekannte Countertenor Max Emanuel Cencić mit Barockmusik. Im vergangenen Jahr hat er das Bayreuth Baroque Opera Festival ins Leben gerufen und dessen künstlerische Leitung übernommen. Das Markgräfliche Opernhaus der Stadt habe sich als neue Heimstätte für Barockgesang geradezu angeboten, schwärmt der österreichische Sänger. Schon immer sei es sein Traum gewesen, „einen Platz zu finden, wo unbekannte Werke der Opera seria regelmäßig wiederentdeckt und auf der Bühne erlebt werden können“. Das von 1744 bis 1750 erbaute, mit seinem ganz aus Holz gefertigten Innenraum nahezu unverändert erhaltene Markgräfliche Opernhaus wurde 2012 zum Weltkulturerbe erklärt und sechs Jahre später nach gründlicher Restaurierung wiedereröffnet. Zufällig kam Cencić damals bei einem Gastspiel seiner Produktion von Johann Adolph Hasses Oper „Siroe“ ins Gespräch mit Clemens Lukas, dem Geschäftsführer des Teams Kultur-Partner Bayreuth, der begeistert auf seine Idee eines Festivals an diesem besonderen Ort reagiert habe. Die „schicksalhafte Begegnung“ führte schließlich dazu, die kostbare Immobilie einmal jährlich mit Opern zu beleben, die der bedeutenden Musiktheatergeschichte der Stadt „vor Wagner“ gerecht werden.

Bayreuth Baroque versteht sich also keineswegs als weiteres Festival Alter Musik, wie es sie vielerorts gibt. Im Zen­trum stehen vor 1750 komponierte Werke der Opera seria. So startete man 2020 nicht etwa mit Händel, sondern präsentierte mit Opern von Nicola Porpora und Leonardo Vinci gleich zwei Stücke von Komponisten, die anderswo kaum zum Zuge kommen. Der überwältigende Er­folg gab Cencić und seinem Team recht. Trotz der Pandemie, die in den hoffnungsvollen Beginn der Vorbereitungen hineinplatzte und massive Einschränkungen zeitigte, gelang es, das neue Festival zu etablieren. Als unabdingbare Voraussetzung dafür sieht Cencić nicht nur ein hohes künstlerisches Niveau, sondern auch mediale Präsenz. Seine Inszenierung von Porporas „Carlo il Calvo“ konnte zwar vor Ort nur einem reduzierten Publikum gezeigt werden, erreichte aber online weltweit mehr als dreihundertfünfzigtausend Abrufe und wurde über die Medienpartner Mezzo TV und Bayerischer Rundfunk in mehr als siebzig Millionen Haushalte sowie zahlreiche Kinos übertragen.

An zwölf Tagen Anfang September fand nun die zweite Ausgabe von Bayreuth Baroque statt. Wieder hatte man mit Corona-Restriktionen zu kämpfen, was das angestrebte Ziel eines mehrwöchigen Festivals schon im Vorfeld vereitelte. Öffnungskonzessionen im letzten Moment kamen für den Verkauf weiterer Karten zu spät. So entschloss man sich, statt einer szenischen Neuproduktion, wie sie eigentlich jedes Jahr vorgesehen ist, Porporas „Carlo“ wieder aufzunehmen, um die rundum geglückte Live-Vorstellung auch denen zu bieten, die sie 2020 versäumt hatten. Neben zahlreichen Konzerten im Opernhaus mit bekannten Interpreten wie Dorothee Oberlinger, Simone Kermes oder den phänomenalen Countertenören Jakub Józef Orlinski und Franco Fagioli wurde auch an anderen Orten Bayreuths musiziert: Händels „Judas Maccabaeus“ in der Stadtkirche, Dinnerkonzerte mit der Gambistin Maddalena Del Gobbo in der reizenden, au­ßerhalb der Stadt gelegenen Eremitage.

Zu den Hauptattraktionen der zweiten Saison zählten drei konzertante Aufführungen einer weiteren Oper von Porpora. Dessen „Polifemo“, uraufgeführt 1735 im Londoner King’s Theatre, kombiniert zwei Mythen um den Zyklopen Polyphem. Aus Eifersucht ermordet der Riese den in die Nymphe Galatea verliebten Acis und wird dann von Odysseus in seiner Höhle geblendet, worauf Acis als Flussgott Unsterblichkeit erlangt. Porpora hat die abenteuerliche Verquickung der Geschichten nicht nur in dramatische oder unterhaltsame, hörspielhaft lebendig untermalte Rezitative gepackt, sondern sie auch reich mit spektakulären Koloraturarien und betörend belcantistischen Klagen ausgestattet, die seinem Schüler Farinelli und dessen Konkurrenten Senesino auf die Kastratenstimmen geschneidert waren. Dem Rivalen Händel lief er damit seinerzeit den Rang ab.

Cencić stellte in Bayreuth seine volltönende Stimme koloraturgenau in den Dienst des listenreichen Ulisse, rühmte mit scheinheilig weichen Trillern die Einfalt der Schäfchen, ließ sich gern von Calipso zu mühelosen vokalen Höhenflügen verführen und sang sich ohne Schärfe durch wildeste Verzierungen.

Pavel Kudinov als bassbeweglicher Polifemo ersäufte seinen Frust in enorm virtuosen Trotzarien. Der junge Counter Yuriy Mynenko ließ Acis mit geschmeidigen Kantilenen seine Liebe beteuern. Die berühmte Arie „Alto Giove“ ging er eher verhalten an, um über sparsamer Orchesterbegleitung Porporas geniales Melos mit langem Atem berückend zu entfalten. Seine Ornamentik demonstrierte dabei nicht nur technische Brillanz, sondern war stets psychologisch motiviert. Ge­sangskunst höchster Vollendung bot Julia Lezhneva als neckische Galatea. Spielerisch navigierte sie ihren flexiblen, goldglänzenden Sopran mit Anmut durch ex­treme Höhen und Tiefen. Klare Konturen, perfekte Atemeinteilung und reinste Intonation nötigten jederzeit Bewunderung ab. Rinnat Moriah als Nerea und Sonja Runje als mezzosatt klingende Calipso ergänzten das beglückende Stimmenfest ideal. George Petrou führte sein farbig besetztes, prächtig aufspielendes Ensemble Armonia Atenea präzise durch die fein geklöppelte Partitur.

Im nächsten Jahr dürfen sich Fans des Festivals auf eine szenische Produktion von Leonardo Vincis Oper „Alessandro nell’Indie“ freuen. Außerdem soll unter anderen auch das steinerne Ruinentheater in der Eremitage erschlossen werden. Der Verlauf der Pandemie wird letztlich entscheiden, ob Cencić seinem Ziel im Jahr 2022 schon näher kommen kann, mehrere Barockopern pro Saison zu präsentieren.

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