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#Sophie Calle: In Paris stellt sie ihr gesamtes Hab und Gut aus

Sophie Calle macht die Geschichte ihres Lebens zu Kunst. Dafür lässt sie sich etwa von einem Privat-Detektiv beschatten oder stellt ihr gesamtes Hab und Gut aus. Eine Begegnung im Picasso-Museum.

Sophie Calle, geboren 1953 als Tochter des Kunsthändlers Robert Calle und der Chirurgin Monique Sindler in Paris, ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Künstlerinnen. Sie arbeitete als Barfrau, Tänzerin und Fotografin, lebte in Mexiko, den Vereinigten Staaten und im Libanon. Seit ihrer Rückkehr nach Paris 1979 wurde sie mit zahlreichen Kunstaktionen bekannt. So ließ sie sich von einem Detektiv beschatten und stellte aus seinen Aufzeichnungen ein Buch über ihr Leben zusammen.

Die Geschichte geht so: Sophie Calles Großvater floh 1910 aus Polen. Auf dem Weg nach Amerika legte er in Paris am Gare de L’Est einen Stopp ein. Ohne ein Wort Französisch zu sprechen, ging er zum nächsten Restaurant und zeigte kurzerhand auf irgendein Wort auf der Speisekarte. Als man ihm wenig später eine Artischocke servierte, schaute er das seltsame Stück einigermaßen verdutzt an und nahm verlegen das Besteck in die Hand, ohne recht zu wissen, wie er vorgehen solle. Da kam der Kellner zu Hilfe. Er zeigte ihm, wie man die Blätter eines nach dem anderen abzupft, bis man zum Herz des Gemüses gelangt. Der Großvater machte es nach, übernahm die vorsichtigen Handgriffe des Fremden, die er ihm, einem Ausländer, einem Juden, beibrachte, und sagte sich: „Hier bleibe ich!“
Und er blieb. „Und deshalb“, sagt Sophie Calle und grinst, „deshalb bin ich Französin.“

Die Anekdote hat sie in die jüngste Auflage ihres Buchs „Wahre Geschichten“ aufgenommen. Weil sie den Erzählungen gerne Bilder zur Seite stellt, hat sie die Geschichte mit dem Foto einer leeren Theatergarderobe illustriert, vielleicht, weil sie darin einen Verweis auf den Anfang einer Geschichte oder eben auf deren Ende gesehen hat, je nachdem, ob die Vorstellung erst beginnt oder bereits zu Ende ist. „Voreilig!“, sagt sie jetzt und verweist auf einen Koffer in ihrer großen und großartigen Präsentation im Picasso-Museum, für das sie das Haus für gut ein Vierteljahr fast leergeräumt hatte, um es dann bis zum Bersten zu füllen mit ihren eigenen Arbeiten und dem gesamten Sammelsurium, mit dem sonst ihr Haus am Stadtrand von Paris bis unters Dach gefüllt ist. „Der Koffer“, sagt sie, „passt so viel besser.“

Keine Geheimnisse zwischen Künstlerin und Publikum

Eine Art Koffer zählte zu den letzten Arbeiten beim Rundgang durch drei Etagen des Hauses. Die Ausstellung war ein raffiniertes Arrangement, das mit Verhüllungen begann, nämlich mit Fotografien der gegen Staub verpackten Gemälde Picassos, die den Besucher womöglich ein wenig frustrierten, und sich fortsetzte mit Enthüllungen, nämlich ihren eigenen Bildern, bei denen die Besucher, um sie betrachten zu können, nun Vorhänge lüften konnten und mussten. Und als dürfte es von nun an keine Geheimnisse mehr geben zwischen der Künstlerin und dem Publikum, legte sie in der zweiten Etage ihr gesamtes Hab und Gut aus, die Möbel und die Bilder, die Plastiken und das angesammelte Spielzeug, ihr Geschirr, ihr Besteck und ihre Groschenromane, etliche Kleider und viele, viele ausgestopfte Tiere, vom winzigen Vogel bis zur Giraffe.

Sophie Calle inmitten ihrer Sammlung ausgestopfter Tiere.


Sophie Calle inmitten ihrer Sammlung ausgestopfter Tiere.
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Bild: AFP

Das alles zu inventarisieren, einzupacken und zu transportieren, hatte sie eigens das Auktionshaus Drouot beauftragt, und es gibt einen Film, in dem sie teilnahmslos zuschaut, wie das Haus immer leerer wurde. Dafür gibt es jetzt einen Katalog, in dem der Besitz mit 482 Nummern abgebildet ist, als käme er zur Versteigerung. Da fällt es schwer zu sagen, ob das noch exzentrisch war oder schon egozentrisch und ob Sophie Calle, die derzeit vermutlich prominenteste und gefeiertste Künstlerin Frankreichs, wirklich ihr Privatestes vor der Öffentlichkeit ausbreitete oder ob sie sich mit dieser Schau nicht vielmehr mystifizierte.

„Oh, nein“, sagt Sophie Calle. Es klingt erschrocken, wie sie es sagt, und hinter der dunklen Sonnenbrille reißt sie die Augen ein wenig auf, „weder noch.“ Es sei ein Nachdenken über die Objekte, über ihren Besitz und die Frage, was damit nach ihrem Tod geschehen solle. An der Wand zitierte sie Picasso, der gesagt haben soll, er wolle nichts von dem wegwerfen, was sich einmal seinen Händen anvertraut habe. Der aber auch, anders als Sophie Calle, über den Tod nicht einmal reden wollte, weil er damit böse Geister anzulocken befürchtete. In Sophie Calles Arbeiten scheint der Tod immer mitgedacht.

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