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#Süße Überraschung unter marinen Wiesen

„Süße Überraschung unter marinen Wiesen

Über eine Million Tonnen Zucker könnte im Wurzelbereich der Seegraswiesen der Welt lagern, geht aus einer Entdeckung hervor: Forscher haben festgestellt, dass die Meerespflanzen erstaunlich große Mengen Saccharose über ihre Wurzeln in den Meeresboden abgeben. Sie können auch erklären, weshalb das Seegras den Zucker freisetzt und warum die „Süßigkeiten“ anschließend nicht von den Bakterien im Wurzelbereich verspeist werden. Die Ergebnisse werfen damit neues Licht auf die Rolle der marinen Pflanzen bei der klimatisch wichtigen Speicherung von Kohlenstoff im Ozean, sagen die Wissenschaftler.

Wiesen, die sich statt im Wind im Wasser wiegen: Der küstennahe Bereich vieler Meeresgebiete der Erde ist von üppigen Seegrasfeldern geprägt. Insgesamt bedecken diese Ökosysteme bis zu 600.000 Quadratkilometer, was etwa der Fläche von Frankreich entspricht. Die grünen Unterwasser-Landschaften besitzen dadurch eine weitreichende Bedeutung: Sie bieten vielen Organismen ein Zuhause, schützen die Küstenbereiche vor Abtragung – und sie spielen eine Rolle im Kohlenstoffkreislauf und damit für das Weltklima. Aus früheren Studien geht bereits hervor, dass die Seegaswiesen deutlich effektiver Kohlendioxid aufnehmen als Wälder an Land. Als sogenannter „blauer Kohlenstoff“ kann es dann lange in der Biomasse gebunden bleiben und trägt damit nicht zum Klimawandel bei.

In ihrer aktuellen Studie haben sich die Forscher um Manuel Liebeke vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (MPIMM) allerdings einmal nicht mit dem in der Biomasse gebundenen Kohlenstoff beschäftigt. In ihrem Fokus standen die Verbindungen, die das Seegras von sich gibt. Denn es ist bekannt, dass Pflanzen unter bestimmten Umständen Kohlenhydrate über ihre Wurzeln ausscheiden. Um zu erfassen, was Seegras in seine sogenannte Rhizosphäre freisetzt, haben die Wissenschaftler Proben aus dem Sediment unter Wiesen verschiedener Seegrasarten im Mittelmeer sowie in der Karibik und der Ostsee untersucht.

Haufenweise Zucker

Ihre Analysen ergaben: Die Gewächse geben offenbar große Mengen der auch als Haushaltszucker bekannten Saccharose ab und diese Substanz sammelt sich überraschenderweise im Boden an. Die Zuckerkonzentration unter den Seegraswiesen ist demnach etwa 80-mal so hoch wie alles, was bisher im Meer gemessen wurde, berichten die Forscher. „Zur Einordnung: Wir schätzen, dass weltweit zwischen 0,6 und 1,3 Millionen Tonnen Zucker, hauptsächlich in Form von Saccharose, in der Seegras-Rhizosphäre lagern“, sagt Liebeke. „Das entspricht ungefähr der Menge an Zucker in 32 Milliarden Dosen Cola!“, vergleicht der Wissenschaftler.

Dabei drängt sich zunächst eine grundlegende Frage auf: Warum geben die Pflanzen den energiereichen Stoff in solchen Mengen von sich? Offenbar gibt es manchmal Entsorgungsbedarf bei starkem Überfluss, erklärt Co-Autorin Nicole Dubilier vom MPIMM: „Das Seegras produziert den Zucker während der Photosynthese. Unter durchschnittlichen Lichtverhältnissen verwenden die Pflanzen den Großteil dieses Zuckers für ihren eigenen Stoffwechsel und ihr Wachstum. Aber bei sehr starkem Licht, zum Beispiel zur Mittagszeit oder im Sommer, produzieren sie mehr Zucker als sie verbrauchen oder speichern können. Dann geben sie die überschüssige Saccharose in ihre Rhizosphäre ab – es handelt sich quasi um ein Überlaufventil“, so die Wissenschaftlerin.

Offen blieb allerdings die Frage, warum sich der energiereiche und leicht verdauliche Zucker so stark anreichern kann. Konkret: Warum machen sich die Mikroorganismen in der Seegras-Rhizosphäre nicht über den süßen Schatz her? „Wir haben lange versucht, das herauszufinden“, sagt Erstautorin Maggie Sogin vom MPIMM. Dazu haben die Forscher mittels genetischer Methoden den Stoffwechsel der Bakterien untersucht, die im Wurzelbereich der Seegräser leben. Dabei zeigte sich, dass sie eigentlich meist die Voraussetzungen für den Abbau von Saccharose besitzen – die entsprechenden Gene werden aber häufig nicht aktiviert. Offenbar hemmt also etwas die mikrobielle Umsetzung des Zuckers unter Freisetzung von Kohlendioxid.

Phenole hemmen den Zuckerabbau

Wie weitere Analysen ergaben, handelt es sich um die Kombination aus sauerstoffarmen Bedingungen mit bestimmten Substanzen, die die Pflanzenwurzeln neben dem Zucker ebenfalls abgegeben: „Wir haben festgestellt, dass Seegras Phenole in das Sediment freisetzt“, sagt Sogin. Dies sind Substanzen, die bekanntermaßen den Stoffwechsel von Mikroorganismen hemmen können. „Wir haben Experimente durchgeführt, in denen wir die Mikroorganismen in der Seegras-Rhizosphäre mit aus dem Seegras isolierten Phenolen in Kontakt brachten – und tatsächlich wurde dort viel weniger Saccharose konsumiert, als wenn wir keine Phenole zugesetzt hatten“, berichtet Sogin.

Interessanterweise lieferten die Untersuchungen aber auch Hinweise darauf, dass eine kleine Gruppe mikrobieller Spezialisten an die Bedingungen der Seegras-Rhizosphäre angepasst ist: Sie können Saccharose verdauen und die Phenole abbauen. Die Forscher vermuten, dass diese Mikroben Partner des Seegrases sein könnten: Möglicherweise ermöglichen sie den Pflanzen Zugang zu Nährstoffen, die sie zum Wachsen brauchen. „Solche vorteilhaften Beziehungen zwischen Pflanzen und Mikroorganismen in der Rhizosphäre kennen wir gut von Landpflanzen. Aber wir fangen gerade erst an, die innigen und komplizierten Wechselwirkungen von Seegräsern mit Mikroorganismen in der marinen Rhizosphäre zu verstehen“, so Sogin.

Wie das Team abschließend hervorhebt, unterstreicht ihre Studie erneut die Bedeutung des Schutzes der bedrohten Seegraswiesen der Welt. Denn bis zu einem Drittel des weltweiten Seegrasbestandes könnte bereits verloren gegangen sein und die jährlichen Verluste werden an einigen Standorten auf bis zu sieben Prozent geschätzt. „Große Mengen an gespeichertem Kohlenstoff würden freigesetzt, wenn die Seegraswiesen weiter abnehmen. Dabei zeigt unsere Forschung ganz deutlich: Nicht nur das Seegras selbst, sondern auch die großen Mengen an Saccharose unter den Wiesen müssen dabei bedacht werden“, resümiert Liebeke.

Quelle: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie; Fachartikel: Nature Ecology & Evolution, doi:
10.1038/s41559-022-01740-z

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