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#Der freundliche Falke in Brüssel

Der freundliche Falke in Brüssel

Als Christian Lindner am Dienstag in Brüssel ein zweites Mal vor die internationalen Medien tritt, ist er schon erkennbar weniger nervös als am Vortag, bei seinem allerersten Auftritt. Sein Englisch ist wie am Montag ordentlich, und vor allem zeigt der FDP-Politiker nach seiner ersten Teilnahme an einem EU-Finanzministertreffen auch in der Fremdsprache jene Schlagfertigkeit, die man im Inland von ihm kennt. Auf die Frage einer amerikanischen Journalistin, ob er während der Sitzung die Befürchtungen seiner Amtskollegen bestätigt habe, ein „angsteinflößender Falke“ zu sein, antwortet Lindner: „Ach nein. Ich bin ein freundlicher Falke.“

In der Form freundlich – und in der Sache? Es war am Montag und Dienstag erkennbar Lindners Absicht, sich im bevorstehenden Streit über die Reform der EU-Fiskalregeln nicht in die Karten schauen zu lassen. Einerseits betonte er den engen Schulterschluss mit dem französischen EU-Ratsvorsitz und seinem sehr reformwilligen Amtskollegen Bruno Le Maire. Lindner sagte mehrfach, er und der Franzose seien „realistische Politiker“. Andererseits sollte das offenbar heißen, dass mit der Bundesregierung die Budgetregeln zwar „sinnvoll weiterentwickelt“ werden könnten, der Pakt in der Substanz aber nicht geändert werden dürfe.

„Teil der Lösung, nicht Teil des Problems“

Lindner versuchte, die an ihn im Aus- wie im Inland gerichteten Erwartungen gleichermaßen zu erfüllen. Deutschland wolle „Teil der Lösung, nicht Teil des Problems“ sein, sagte er an die Adresse der EU-Partner. Warum aber keine substanzielle Änderung des Pakts? Der gilt in Deutschland immer noch als sakrosankt, obwohl er seine Substanz weitgehend verloren hat. Die Regeln des Pakts hätten „bei den Bürgern eine hohe Bekanntheit und eine hohe Verlässlichkeit“, sagte Lindner. „Realisten konzentrieren sich auf das Erreichbare.“

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Das klang nach der Sprachregelung des Koalitionsvertrags, die auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag in Madrid ausgegeben hatte: Der Pakt müsse nicht reformiert werden, weil das bisherige Regelwerk flexibel genug sei. Was der Minister hinzufügte, läuft aber doch auf größere Kompromissbereitschaft hinaus. Eine „Änderung der EU-Verträge“ schließe er aus, sagte Lindner. Was nach „roter Linie“ klingt, ist in Wahrheit ein großes Zugeständnis, denn eine Änderung des Regelwerks in den Verträgen gilt in Brüssel ohnehin als ausgeschlossen – und wird auch von niemandem ernsthaft gefordert.

Lindners Aussage vermittelt eher den Eindruck, dass er allen Veränderungen des Regelwerks offen gegenübersteht, solange sie keine Vertragsänderungen erfordern, etwa die Abschaffung der Maastrichter Schulden-Grenzwerte von 3 und 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch Reformbefürworter halten eine solche Vertragsänderung nicht für nötig, da diese Grenzwerte schon in der Vergangenheit dauernd verletzt wurden. Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni will bis zum Sommer einen Reformvorschlag vorlegen, der keine Vertragsänderung erfordert. Dieser müsse Investitionen zulassen und dürfe das Wachstum nicht abwürgen, sagte der Italiener.

„Wachstumsfreundlicher“ Schuldenabbau

Das klang bei Lindner ganz ähnlich. Er und Le Maire seien „gemeinsam der Auffassung, dass wir Wachstum und Transformation finanzieren müssen“, sagte der Minister. Der Franzose vermittelte nach dem Treffen am Dienstag den Eindruck, dass die EU in der Frage ohnehin schon kurz vor einer Einigung stehe. Keiner von seinen Kollegen wolle mehr die „alten Debatten“ führen, die Fronten zwischen sparsamen und ausgabefreudigen Staaten seien längst überwunden, sagte Le Maire. „Wir wollen alle ein neues Gleichgewicht schaffen, alle wollen wir mehr Investitionen und gesunde Staatsfinanzen.“

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Wie kürzlich Gentiloni in der F.A.Z. betonte auch Le Maire, niemand bestreite, dass die hohen Staatsschulden – in seinem Heimatland sind es derzeit rund 120 Prozent der Wirtschaftsleistung – gesenkt werden müssten. Die „wahre Frage“ sei aber, wann und wie schnell das geschehen könne. „Niemand fordert mehr, dass wir möglichst schnell zum Maastrichter Schulden-Referenzwert von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückkehren müssen.“ Entscheidend sei, den Schuldenabbau „wachstumsfreundlich“ zu gestalten. Gentiloni regte abermals an, jedem hoch verschuldeten Land eigene maßgeschneiderte Vorgaben zu machen.

„Je weiter wir kommen, desto besser“

Le Maire will die Diskussion während der französischen Präsidentschaft möglichst weit vorantreiben. „Je weiter wir kommen, desto besser.“ Freilich will die EU-Kommission erst zur Jahresmitte einen Vorschlag zur Reform des bisherigen Regelwerks, das aus mehreren Verordnungen besteht, unterbreiten.

Der für Wirtschaft zuständige Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte am Dienstag, seine Behörde halte daran fest, dass neue Regeln zum Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten sollten. Die Kommission wolle die bis zum Jahresende 2022 außer Kraft gesetzten nicht noch länger auf Eis lassen. Der Lette deutete aber an, dass die Kommission Übergangslösungen vorschlagen könnte, die – wie schon früher mehrfach – einen „flexiblen“ Umgang mit den Regeln erlaubt, falls die Reform des Pakts bis zum Jahresende noch nicht beschlossen ist.

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