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#Tomas Tranströmer: „Espresso“

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Tomas Tranströmer: „Espresso“

Gedichte können einem Leser das geben, was nicht anwesend ist: für einen Moment Liebe bringen, das Gefühl der Trauer fließen lassen oder der Espresso sein, den man derzeit im Café nicht trinken kann. Gedichte wie die von Tomas Tranströmer sind „kostbare aufgefangene Tropfen“, die „einen wohltuenden Stoß geben“, die Kraft, sich zu ermuntern und „die Augen zu öffnen“.

Wofür? Der schwarze Kaffee wird von Tranströmer in einer zurückhaltenden Sprache angeboten, die Hanns Grössel über Jahrzehnte hinweg subtil ins Deutsche übertragen hat. Jede der sechs Strophen mit ihren zwei durch Jamben und Daktylen rhythmisierten Zeilen beginnt mit einem unauffälligen Artikel, einem Pronomen, einer Präposition und, so scheint es, in einer Alltagsszenerie: auf einer Terrasse mit Tischen und Stühlen. Diese aber sind „prächtig wie Insekten“. Der irritierende Naturvergleich fällt ins Auge, zumal die Tische und Stühle zunächst leer sind, von Menschen gar nicht die Rede ist. Es geht dem schwedischen Dichter, der früh und begeistert den Süden bereiste, nicht um Geselligkeit. Es geht ihm um den Wechsel von innerer und äußerer Wahrnehmung eines Einzelnen, um Klarheit und Konzentration – für die sein knappes und hochgepriesenes lyrisches Werk steht wie kein anderes. 1954 begann es mit „17 Gedichten“, brachte ihm 2011 den Nobelpreis ein und vollendete sich in zwölf Bänden bis zu seinem Tod im Jahr 2015. „Überdrüssig aller, die mit Wörtern, Wörtern aber keiner Sprache / daherkommen“, so hat Tranströmer es formuliert.

Draußen nicht nur Kännchen

Der Sprecher schätzt schon in diesem frühen Gedicht an den kostbaren Tropfen die gleiche Kraft, die in den Worten „ja“ und „nein“ liegt, die Kraft der klaren Entscheidung und Kontur also, um deren Bedeutung wohl auch der Psychologe wusste, als der Tranströmer zeitlebens gearbeitet hat. Die Vergleiche treten zur Seite und machen einer bemerkenswerten Personifikation Platz: Er, der Espresso, wird zum wirklichen Protagonisten des Gedichts, herausgetragen aus „dunklen Cafés“, blickt er persönlich „in die Sonne, ohne zu blinzeln“. Ein surrealer Moment. Gespielt wird in Tranströmers Gedicht auch mit dem Kontrast von hell und dunkel. Schwarz ist der Kaffee, dunkel sind die Cafés, denen er entstammt, die Sonne, das Tageslicht stehen dem entgegen. Doch nicht das Licht ist erkenntnisfördernd. Aus der Tiefe des Dunklen kommt die Kraft, die in den bleichen Menschen fließt, ihm wohltut und ihn belebt. Das Dunkle ist Grund der Stärkung und Einsicht – nicht hymnisch gefeiert, nicht der Nacht zugehörig, sondern als kostbarer schwarzer Tropfen im hellen Tageslicht.

Eine Metapher markiert den Moment des größten Pathos in der fünften Strophe: Die Terrassenszenerie, mit ihrem insektenartigen Mobiliar, ihrem bleichen Gast und dem quicklebendigen Kaffee ohnehin schon von einiger Merkwürdigkeit, öffnet sich ins Große. Von „Tropfen aus schwarzem Tiefsinn“ ist die Rede, die „bisweilen von der Seele aufgefangen werden“. Gewichtige Worte werden hineingeholt in die Alltäglichkeit, und doch bleibt der Sprecher in kühler Distanz. Es klingt wie eine schöne Selbstverständlichkeit, dass es eine Seele gibt (als Ort geistiger Vorgänge, als unsterbliches Organ?), die etwas vom tiefen Sinn auffangen kann. Das Leben bekommt eine Dimension zugesprochen, über die wir weiter nichts erfahren. Der Dichter deutet sie an, führt sie nicht aus, macht sie ästhetisch dennoch erfahrbar: etwa in der klanglichen Qualität seines Gedichtes. Die Anlautwiederholungen deuten auf einen Zusammenhang von Sichtbarem und Unsichtbarem, von dem sich anders vielleicht nicht sprechen lässt.

Die Ahnung einer verborgenen Kraft kann den Menschen aktivieren. Dies wird durch ein Strophenenjambement unterstrichen. Schon wenige Tropfen können ihm aufhelfen und ihn – mit einer Zäsur und einem Ausrufungszeichen – anstoßen: zu gehen oder einfach nur die Augen zu öffnen und wach zu sein. Jeder bleiche Gast der Welt benötigt einen Kraftspender, etwas Kostbares und Konzentriertes, Starkes und Wohltuendes. Brauchen Sie einen Kaffee? Nehmen Sie dieses Gedicht.

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