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#Ungarns Justizministerin Varga über „Stop-Soros“-Gesetz

Ungarns Justizministerin Varga über „Stop-Soros“-Gesetz

Frau Ministerin, der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Woche geurteilt, dass die sogenannte „Stop Soros“-Gesetzgebung in Teilen gegen europäisches Recht verstößt. Welche Konsequenzen wird Ungarn ziehen?

Wir werden wie üblich auf die offizielle schriftliche Begründung des Urteils warten. Dann beginnt eine rechtliche Diskussion mit der Kommission, wie es umzusetzen ist. Das braucht Monate, manchmal mehr als ein Jahr, unabhängig vom Mitgliedstaat. Aber was wir sehen, ist schon erstaunlich: Sie greifen das Gesetz an, das dafür da ist, Europa vor illegaler Migration und deren illegaler Unterstützung zu schützen. Im Grunde wollen also der Europäische Gerichtshof und die Europäische Kommission, dass Ungarn illegale Migranten hereinlässt.

Früher hat Budapest am Ende die Entscheidungen des EuGH umgesetzt und keine fundamentalen Einwände dagegen erhoben. Zuletzt hat Ungarn zwar wie vom EuGH gefordert die Transitzonen an der Grenze aufgelöst, aber gegen einige Aspekte des Urteils das heimische Verfassungsgericht angerufen, ob diese mit dem ungarischen Grundgesetz kompatibel sind – ähnlich wie es auch Polen getan hat. Bedeutet das eine grundsätzliche Neuorientierung?

Das muss ich korrigieren: Es gibt keine Verbindung zu dem polnischen Fall. Jeder Fall in jedem Mitgliedstaat ist anders. Wir haben um die Meinung des Verfassungsgerichts angesucht. Dabei geht es grundsätzlich nicht um den Vorrang europäischen Rechts, sondern es ist eine Frage der Interpretation.

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Welche Interpretation?

Wir sehen, dass das Migrationssystem der Europäischen Union nicht funktioniert. Es gibt viel Sekundärmigration. Wenn Asylgesuche abgelehnt werden, funktioniert die Rückführung nicht. In Ungarn hatten wir mit den Transitzonen ein sehr gut funktionierendes System aus gesetzlichem Regelwerk und physischen Maßnahmen. Es hat dafür gesorgt, dass es in ganz Europa weniger illegale Migration gibt. Die Transitzonen waren in Richtung des Schengenraums geschlossen und zu sicheren Drittstaaten hin offen, nämlich Serbien. Jetzt mussten wir die Transitzonen schließen. Aber wenn es Asylgesuche gibt, die abgelehnt werden, können diese Personen nicht nach Hause geschickt werden, sondern halten sich rechtswidrig auf dem Staatsgebiet auf. Das widerspricht dem Prinzip der Souveränität, das im Grundgesetz festgeschrieben ist. Und wir werden ohnehin keine illegalen Migranten reinlassen – die Festung Ungarn steht.

Also doch ein Konflikt mit EU-Recht?

Nein, es geht nicht darum, ob EU-Recht anzuwenden ist oder nicht. Sondern das EU-Recht funktioniert nicht effektiv. Man sieht die schwerwiegenden Probleme an den Grenzen von Litauen und Polen. Das ist eine Krisensituation, in der nicht auf irgendwelche Beschlüsse gewartet werden konnte. Es brauchte ein unmittelbares Handeln durch die souveränen Mitgliedstaaten und kreative Lösungen. Wir unterstützen die polnischen Grenzwächter und senden materielle Hilfe nach Litauen, um einen Zaun zu bauen. Ich begrüße die zahlreichen Stellungnahmen europäischer Politiker, die früher gegen einen Zaun waren und jetzt dafür sind. Es ist wirklich irrational und moralisch fragwürdig, dass Ungarn mit Geldbußen und Vertragsverletzungsverfahren bedroht wird, und zwar für dieselben Sachen, die gerade in anderen Ländern gemacht werden. Auch sollte Ungarn eine finanzielle Unterstützung zu seinem Zaunbau gegeben werden. Er hat umgerechnet 1,6 Milliarden Euro gekostet, erstattet wurde bislang davon nur ein Prozent.

Wie soll es weitergehen mit dem Verfahren?

Die Vertragsverletzungsverfahren sollten angehalten werden, solange es keine gemeinsame praktikable Lösung gibt, mit der Migrationskrise umzugehen. Es gibt ja Ideen. Wir hatten ein funktionierendes System. Das Prinzip, das dem zugrundeliegt, lautet: Die Entscheidung, wer die EU betreten darf und wer nicht, sollte getroffen werden, solange die Betreffenden noch nicht EU-Territorium betreten haben. Diese Idee wird nun auch von anderen Mitgliedstaaten geteilt. Und viele andere bauen Zäune.

Wenn es zu einem Konflikt zwischen nationalem und EU-Recht kommt, welches hat Vorrang?

Mit dieser „Kompetenzfrage“ (hier verwendet Varga das deutsche Wort) hat sich auch das deutsche Verfassungsgericht vergangenes Jahr auseinandersetzen müssen. Wenn eine unaufhaltsame Kraft, das europäische Recht, auf ein festes Objekt trifft, die nationale Verfassung, dann gibt es eine Kollision. Auch die deutsche Regierung ist sowohl der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs als auch der des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet. Ich stimme der deutschen Position zu, dass in einer solchen Extremsituation der Konflikt nur durch politischen und rechtlichen Dialog gelöst werden kann. Ich finde es problematisch, dass im deutschen Fall die loyale Kooperation mit einem Vertragsverletzungsverfahren beantwortet wurde.

Kehren wir zur Grundsatzfrage zurück.

Wir können nur dort über einen Vorrang von EU-Recht sprechen, wo es um vergemeinschaftete Kompetenzen geht. In den Verträgen ist klar festgelegt, welche Gegenstände mit andern Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen geteilt worden sind und welche zu hundert Prozent in der Verantwortung der Mitgliedstaaten bleiben. Um wessen Kompetenz es geht, muss ein Verfassungsgericht zuerst klären, wenn es über eine solche Frage zu entscheiden hat. Es ist traurig, dass die Debatte über den Fall des polnischen Verfassungsgerichtshofs durch Medien so verzerrt wird, weil niemand diese Unterscheidung trifft. Natürlich ist das Leben bunt und man kann immer diskutieren, wo die Grenzen zwischen vergemeinschafteten und nationalen Kompetenzen liegen. Man kann doch nicht sagen, dass die Frage nicht legitim sei.

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