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Wahlkampf am Abgrund

Michel Houellebecq hat in seinem neuen Roman eine Bombe versteckt. Sie trifft nicht die Frauen, nicht die Religion und auch nicht die Politik, obwohl „Vernichten“, wie das Buch heißt, sehr wohl ein politischer Roman ist, eine Erzählung, die über weite Strecken im französischen Wirtschaftsministerium spielt, während des Präsidentschaftswahlkampfs im Jahr 2027. Die Bombe am Ende des Buches, im letzten Satz der Danksagung des Schriftstellers, trifft vielmehr ihn selbst: „Ich“, schreibt Michel Houellebecq, „bin glücklicherweise gerade zu einer positiven Erkenntnis gelangt: für mich ist es Zeit aufzuhören.“

Julia Encke

Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Er will aufhören? Jetzt? Warum? Gerade ist man durch die 620 neuen Seiten hindurchgeflogen, in enormem Tempo deshalb, weil „Vernichten“ mit einer rätselhaften geometrischen Zeichnung, mit unbekannten Schriftzeichen als Spionagethriller beginnt, dessen mögliche Auflösung einen, selbst als alles schon hoffnungslos erscheint, weiter vorantreibt – da soll es zu Ende sein? Zu Ende auch mit dieser Sprache, der manche vorwerfen, dass sie „ohne Stil“ sei, obwohl ja „die Abwesenheit von Stil, der Nicht-Stil“, wie der Schriftsteller Rainald Goetz das genannt hat, Houellebecqs eigentliches Stilphänomen ist? Einmal abgesehen davon, wie extrem gut sich diese stillose Sprache liest.

Das Wirtschafts- und Finanzministerium in Paris


Das Wirtschafts- und Finanzministerium in Paris
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Bild: Bridgeman

Wie immer bei Houellebecq weiß man nicht, wie ernst seine Selbstinszenierung gemeint ist. Das ist sein Spiel. Er schafft es allerdings, mit der Ankündigung seiner Abdankung ein Gefühl der Trauer zu verstärken, das einen während „Vernichten“ die ganze Zeit schon begleitet hat. Denn tatsächlich handelt der Roman von einer Abschiedstournee: dem Abschied von der Welt der Politik, von der Arbeit, der Familie – allein die Liebe bleibt.

Eine tatsächliche Enthauptung?

Aber von vorn: Es beginnt damit, dass im Internet verschlüsselte anonyme Botschaften auftauchen, geometrische Figuren auf gehackten kommerziellen und behördlichen Websites, mit denen sich, wenn man sie anklickt, Videos starten lassen. Diese Videos fallen deshalb auf, weil sie digitale Spezialeffekte realisieren, die von den besten Spezialisten auf dem Gebiet für unmöglich gehalten werden; weil die Rechenleistung, die sie aufbringen, alles bisher Bekannte übersteigt – und weil sie einen Angriff von Unbekannten auf Bekannte inszenieren: Im zweiten Video steht der Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Juge mit hinter dem Rücken gefesselten Händen in einem Garten.

Eine Einstellung weiter ist er in ein langes schwarzes Gewand gekleidet, mit einer Kapuze über dem Kopf, und wird zu einer Guillotine geführt, die ihn köpft. Wobei sein Kopf daraufhin einen Grashügel hinunterrollt und direkt vor der Kamera liegen bleibt. Diejenigen, die es sehen, könnten schwören, einer tatsächlichen Enthauptung beigewohnt zu haben. Es folgt im Roman auf einer ganzen Seite: die Zeichnung einer Guillotine mit den Fachbegriffen ihrer Einzelteile.

Zur gleichen Zeit befindet sich der lebende Bruno Juge in seiner Dienstwohnung im Wirtschafts- und Finanzministerium, nach dem Pariser Viertel Bercy benannt, in die er dauerhaft eingezogen ist, seitdem seine Frau ihn betrügt. Im Pyjama trifft er auf einem der Korridore auf seinen Berater und Freund Paul Raison, der – es ist spätnachts – gerade das Büro verlassen will, und lädt ihn ein, in der Dienstwohnung noch etwas mit ihm zu trinken. Raison ist der Sohn eines ehemaligen Geheimdienstagenten. Für Houellebecq ist es diese Verwandtschaftsbeziehung, die den Link zwischen Thriller und Politroman herstellt und es ihm erlaubt, von einem zum anderen Genre zu wechseln – bevor die Erzählung ganz ins Private abdriftet.

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