Wissenschaft

#Warnende Hinweise aus der Strömungs-Geschichte

Das mächtigste Strömungssystem der Erde im Visier. Eine Untersuchung der Entwicklungsgeschichte des klimatisch bedeutenden Antarktischen Zirkumpolarstroms zeigt: In Warmzeiten der Vergangenheit floss das Wasser besonders schnell um den südlichen Kontinent. Dies begünstigte wahrscheinlich das Abschmelzen der antarktischen Eismassen und könnte zu einer verringerten CO2-Aufnahme des Wassers geführt haben, sagen die Forschenden. Im Zuge des aktuellen Klimawandels könnte es ihnen zufolge nun erneut zu diesen Effekten kommen.

Das Wasser der Ozeane steht bekanntlich nicht still wie in einem Teich: Gewaltige Strömungssysteme befördern ständig Wassermassen über teils enorme Entfernungen hinweg. Dabei sorgen sie für eine Umverteilung von Warm- oder Kaltwasser sowie von Nährstoffen und führen zu einer Durchmischung der ozeanischen Schichtung. Damit beeinflussen sie wiederum maßgeblich den globalen Kohlenstoffkreislauf und das Klimasystem. Im Fokus der Studie von Forschenden um Frank Lamy vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven stand nun das mächtigste Strömungssystem unseres Planeten: Von Winden angetrieben umfließt der Antarktische Zirkumpolarstrom den südlichen Kontinent. Das breite und tiefe System umfasst dabei mehr als 100-mal so viel Wasser wie alle Flüsse der Erde zusammen. Dem Antarktischen Zirkumpolarstrom wird dabei eine wichtige Rolle bei der Aufnahme des Treibhausgases CO₂ aus der Atmosphäre zugesprochen. Er bestimmt außerdem, wie viel warmes Wasser die antarktischen Eismassen erreicht, und prägt damit die dortigen Schmelzprozesse.

Fließgeschwindigkeiten im Spiegel von Sedimentbohrkernen

Deshalb stellt sich die Frage, wie sich der Antarktische Zirkumpolarstrom im Zuge des menschengemachten Klimawandels in Zukunft verändern könnte. Studien haben bereits Hinweise darauf geliefert, dass die Windbewegungen durch den Erwärmungstrend zugenommen haben und entsprechend auch die Wasserbewegungen. Für genauere Einschätzungen der zu erwartenden Entwicklungen sind aber mehr Informationen nötig. Hilfreich sind dabei Einblicke in die Entwicklungsgeschichte des Strömungssystems. „Für bessere Vorhersagen des zukünftigen Klimas und der Stabilität des Antarktischen Eisschilds anhand von Computermodellen benötigen wir Paläodaten, die uns etwas über die Stärke des Stroms in früheren Warmphasen der Erdgeschichte verraten“, sagt Lamy. Diesem Ziel hat sich das internationale Forschungsteam mit seiner Studie gewidmet.

Sie basiert auf der Analyse des Materials von Sedimentbohrkernen, die bei Expeditionen an verschiedenen Stellen im Bereich des Antarktischen Zirkumpolarstroms aus großer Tiefe gewonnen wurden. Die von datierbaren Schichten geprägten Sedimentproben reichen bis in die Zeit vor 5,3 Millionen Jahren zurück. Sie ließen sich dabei bekannten erdgeschichtlichen Perioden mit bestimmten Klimabedingungen zuordnen. Rückschlüsse auf die Fließgeschwindigkeiten zu den verschiedenen Zeiten gewannen die Forschenden nun anhand von Analysen der Größenverteilung von Sedimentpartikeln, die sich in Abhängigkeit von der Strömungsstärke am Meeresboden absetzen.

Beschleunigung in warmen Phasen

Wie das Team berichtet, lieferten die Ergebnisse zunächst grundlegende Einblicke zur Entwicklungsgeschichte des Strömungssystems in der Zeit des Pliozäns und des Pleistozäns, das vor 2,6 Millionen Jahren begann. Besonders relevant für die heutige Entwicklung erscheinen die Befunde aus den vergangenen rund 800.000 Jahren, in denen der CO₂-Gehalt in der Atmosphäre und die Temperaturbedingungen teils stark schwankten. Dabei stellte das Team einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Stärke des Stroms und den glazialen Zyklen fest: In Warmzeiten, in denen der CO₂-Gehalt der Atmosphäre anstieg, nahm die Fließgeschwindigkeit demnach um bis zu 80 Prozent gegenüber heute zu, in Eiszeiten um bis zu 50 Prozent ab.

Kältere Phasen, in denen die Strömung langsamer wurde, korrelierten dabei auch mit dem Vormarsch des Westantarktischen Eisschilds. In wärmeren Phasen, in denen sich der Fluss beschleunigte, folgte dagegen ein Rückzug der Eismassen. „Die Studie weist darauf hin, dass der Rückzug oder Zusammenbruch des antarktischen Eises mechanistisch mit einem verstärkten Fluss zusammenhängt“, sagt Co-Autorin Gisela Winckler von der Columbia University. Dazu führt Lamy weiter aus: „Erklären lässt sich der Eisrückgang dabei durch einen erhöhten Wärmetransport nach Süden. Denn die stärkere Strömung sorgt dafür, dass mehr warmes Tiefenwasser an die Schelfeiskante der Antarktis gelangt“, so der Wissenschaftler.

Geochemische Analysen des Materials der Sedimentbohrkerne gaben zudem Hinweise auf eine Verlagerung des Stroms sowie auf eine Veränderung des Auftriebs von nährstoffreichem Tiefenwasser im Wechsel der Warm- und Eiszeiten, berichten die Forschenden. Wie sie erklären, hat dies wiederum eine Bedeutung für die Einschätzung von Prozessen, die den Kohlenstoffkreislauf betreffen: „Geringere Strömung und ein geringer CO₂-Gehalt der Atmosphäre während der Eiszeiten des Pleistozäns deuten auf einen schwächeren Auftrieb und eine stärkere Schichtung des Südlichen Ozeans, sprich eine größere CO₂-Speicherung hin“, sagt Winckler.

Damit richten die Forschenden den Blick auf die Entwicklungen im Rahmen des anthropogenen Klimawandels. Dazu schreiben sie abschließend: „Die derzeit beobachtete Beschleunigung des Antarktischen Zirkumpolarstroms scheint mit den Mustern übereinzustimmen, die unsere Aufzeichnungen der Stärkemaxima während interglazialer Warmzeiten zeigen. Die Ergebnisse liefern damit Hinweise auf eine weitere Zunahme der Strömung bei anhaltender globaler Erwärmung“, so die Autoren. Somit wäre dann also auch mit den problematischen Folgen und Rückkopplungseffekten dieses Prozesses zu rechnen.

Quelle: Columbia Climate School, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-024-07143-3

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