#Warum Annalena Baerbock jetzt nicht mehr unterschätzt wird
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„Warum Annalena Baerbock jetzt nicht mehr unterschätzt wird“
In einem sind sich viele Deutsche gerade einig: Sie haben Annalena Baerbock unterschätzt. Noch im Dezember glaubte mehr als die Hälfte der Deutschen, die Außenministerin werde ihre Arbeit eher schlecht machen; inzwischen ist sie das beliebteste Mitglied der Bundesregierung. Ihre Leistung anzuerkennen, scheint selbst früheren Kritikern das Gebot der Stunde. So verkündete der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, man müsse neidlos anerkennen, dass Baerbock einen neuen Stil im Auswärtigen Amt präge: „Echt gut!“ Ein Jahr zuvor hatte er noch ihre Führungskompetenz infrage gestellt. Die Basis stehe nicht hinter ihr: „Die Grünen sind und bleiben ein Sicherheitsrisiko.“
Der Philosoph Peter Sloterdijk urteilte unlängst, Baerbock mache eine viel bessere Figur, „als zu erwarten war“, weshalb er selbst zuvor auch noch „etwas respektloser“ über sie gesprochen habe. Nun aber rücke sie „unter dem Realitätsstress in andere Kraftfelder“.
Wie eine unreife Frucht nachgereift
Eine berückend trübe Analyse für einen Mann von Sloterdijks Rang. Natürlich fordert ein Amt den heraus, der es innehat, oft jedoch überfordert es ihn. Brauchte es bloß „Realitätsstress“, um Politiker zu Höchstleistungen zu bringen, dann wären diese Leistungen auch bei allen anderen Amtsträgern zu beobachten, etwa beim Kanzler oder der Verteidigungsministerin. Über die zeigt sich jedoch niemand positiv überrascht.
Sloterdijk führt aus, Baerbock sei im Amt „nachgereift“, ganz so, als habe es sich bei ihr um eine unreife Frucht gehandelt, die man noch liegenlassen musste, bis sie die richtige Süße hatte. Viel eher aber scheint es so zu sein, dass der Philosoph eine Banane für eine Gurke gehalten hat und das nun ungerührt damit erklärt, dass die Banane ja kürzlich noch ganz grün gewesen sei.
Baerbock schon im Triell unterschätzt
Viele Deutsche erkannten schon, dass sie Baerbock unterschätzt hatten, bevor die Ministerin wurde. Zum Beispiel nach dem Fernseh-Triell der drei Kanzlerkandidaten im September. Da befragte die Forschungsgruppe Wahlen anschließend Zuschauer, wie sie die Auftritte von Scholz, Laschet und Baerbock bewerteten. Bei Scholz und Laschet war die Mehrheit der Meinung, sie seien aufgetreten wie erwartet. Bei Baerbock dagegen fand mehr als die Hälfte, sie sei besser gewesen als angenommen.
Erwartungen an Politiker leiten sich aus Erfahrungen ab. Gemeint sind zum Einen die Eindrücke, die man selbst von dem Politiker sammeln konnte, zum anderen Einschätzungen dazu, was sich bisher bewährt hat. Abweichungen vom Bewährten werden in seltenen Fällen belohnt – Karl Lauterbach wurde so Minister –, meist aber bestraft. Baerbock wich in besonders vielen Hinsichten ab: allen voran als Frau. Davon gibt es zwar viele, aber erst eine, die Kanzlerin war. Baerbock wollte die zweite werden, ein Machtanspruch, den man von Vierzigjährigen mit zwei Töchtern nicht kannte.
Riesenthema Kleidungsstil
Dazu ist Baerbock weder glatt noch lässig, weder still noch laut, weder angepasst noch wild. Beim Sprechen verhaspelte sie sich manchmal, redete dann aber so über Habeck, dass es herablassend wirkte. Sie wollte alles richtig machten, beging aber Fehler, musste Nebeneinkünfte nachmelden, ihren Lebenslauf berichtigen und Plagiate in ihrem Buch eingestehen. War sie damals eine andere? Nein.
Baerbock ist anders als viele andere Spitzenpolitiker. Sie ist in manchem besser, in manchem schlechter. Aber weil sie so hoch hinaus wollte, wurde ihr das Schlechte besonders angelastet. Was weder gut noch schlecht schien, bloß ungewöhnlich, legten ihr viele misstrauisch zum Nachteil aus. Zum Beispiel ihren Kleidungsstil. Es gibt Abgeordnete aus der Koalition, die in vertraulichen Gesprächen loben, dass Baerbock sich jetzt elegant anziehe und nicht wie früher leuchtend bunte Kleider mit Lederjacke drüber trage.
Entertainment statt Politik
Lauterbach dagegen gilt als locker, weil er keine Krawatte und das Hemd aufgeknöpft trägt, dazu gern bonbonbunte Pullover – die „Süddeutsche Zeitung“ kürte ihn dafür zum „Stilhelden des Jahres“. Inzwischen halten viele Bürger ihn, Stil hin, Stil her, vor allem für durchsetzungsschwach.
Lauterbach hat also im Amt an Glanz verloren, während Baerbock gewonnen hat. Das sagt mehr über Erwartungen an Politiker als über diese selbst, und es sagt viel über den Wunsch – auch von vielen Journalisten – nach Helden- und Versager-Geschichten. Ebenso, wie es ein Fehler war, Baerbock zu unterschätzen, wäre es einer, sie nun zu verherrlichen, so wie es schon geschieht. Sogar die „Bild“ warf unlängst die Frage auf, ob sie die bessere Kanzlerin wäre. Selbst wenn: Die Frage stellt sich nicht, es sei denn, sie wäre bloß Entertainment. Politik ist aber mehr. Das zeigt sich im Krieg deutlicher als im Wahlkampf. So sind Baerbocks Stärken sichtbarer geworden. Aber dazu gehört, dass jetzt mehr aufs Wesentliche geschaut wird.
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