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#„Wir unterstützen die Ukraine, so lange uns das nicht wirtschaftlich schadet“

„„Wir unterstützen die Ukraine, so lange uns das nicht wirtschaftlich schadet““

Seit Kriegsbeginn in der Ukraine dokumentieren deutsche Fernsehtalkshows eine Hilflosigkeit: Die, dass die NATO-Staaten eigentlich etwas tun möchten, aber andererseits keinen Bündnisfall und in letzter Konsequenz Atomkrieg riskieren wollen. Die Nachrichten aus der Ukraine werden jeden Tag schlimmer und es gibt immer neue Schreckens-Sachstände, aber die zuvor beschriebene Situation bleibt immer gleich ausweglos – egal, ob die Stimme des Gewissens, die insbesondere die Deutschen für ihre Passivität anklagt, weil ihr seit Jahrzehnten beschworenes „Nie wieder“ nichts wert sei, ob diese Stimme die des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk ist wie nun schon in sehr vielen Talkshows, ob es die des ukrainischen Präsidenten Selenskyj selbst ist so wie im Bundestag oder ob es die von Marina Weisband ist, der ukrainischstämmigen deutschen Publizistin, die früher bei der Piratenpartei war und am Sonntagabend in der Sendung von Anne Will zu Gast.

Die vielfach geäußerte Empörung über das Schweigen nach Selenskyjs Appell im Bundestag wollte das Redaktionsteam von Anne Will wohl noch einmal aufleben lassen. Ob es ein Fehler war, nach Selenskyjs Rede direkt zur Tagesordnung überzugehen, wollte Anne Will also von der in ihrer Runde sitzenden Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) wissen und vom stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Alexander Graf Lambsdorff. Im Nachhinein ja, sagte Lambrecht. Und Lambsdorff präzisierte, dass „eine Reihe falscher Entscheidungen“ dazu geführt habe. Rationale Politikerantworten also, die wiederum nicht die zufriedenstellen werden, die sich eine emotionale Reaktion gewünscht hatten.

Da widersprach Marina Weisband

Die Talkshow wollte wohl auch die im Bundestag ausgebliebene Diskussion nachholen – zeigte dabei aber im Großen und Ganzen nur wieder die Hilflosigkeit. Denn dass der Bündnisfall nicht riskiert werden könne, darüber waren sich auch hier bald alle einig. Die Leitfrage aber lautete, ob jetzt denn ein „Krieg ohne Ende“ drohe. Die ehemalige NATO-Beraterin Stefanie Babst war sich sicher, der Konflikt werde lange andauern, denn Putin könne nicht zurück.

Hier widersprach ihr Marina Weisband. Sie glaube, mit einem sofortigen Stopp der Zahlungen für russische Energie könne man Putin kurzfristig Einhalt gebieten. Christoph Heusgen (CDU), Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, legte darauf dar, auf russisches Öl und auf russische Kohle könne Deutschland bald verzichten, auf russisches Gas aber kurzfristig nicht. Und Stefanie Babst glaubte nicht einmal, dass ein schnelles Energie-Embargo sofort die Lage in der Ukraine verbessere.

Realpolitisches Relativieren

Derart mit der Hilflosigkeit konfrontiert, spitzte Anne Will moralisch zu: Wieso warte die Bundesregierung wieder, bis es zu spät sei? Christine Lambrecht wollte das nicht recht gelten lassen, sie bekräftigte indes, Deutschland müsse energetisch unabhängig werden, ein Energie-Embargo müsse kommen, nur gehe das nicht von heute auf morgen.

Solches realpolitisches Relativieren und Hinauszögern kann in diesen Tagen, die stetig neue Verheerungen der Ukraine zeigen und das Gefühl vermitteln, jede Sekunde des Zögerns vervielfache das Leid, schnell eine wiederum empörende Wirkung haben.

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Insofern machten die Ausführungen von Christoph Heusgen bezüglich Putins bald völliger Isolation und sein Lob der mit Joe Biden wieder möglichen NATO-Zusammenarbeit als einer „großartigen Situation“, so richtig sie im Einzelnen seien mögen, rhetorisch den Eindruck eines performativen Fehlers. „Großartig“ scheint natürlich kaum etwas zu sein an der jetzigen Lage.

Und auch ein Versuch wie der Alexander Graf Lambsdorffs, Putin immerhin rhetorisch zu erledigen, indem er dessen Auftreten vor Menschenmassen im Moskauer Stadion mit Goebbels‘ Sportpalast-Rede verglich, muss hilflos wirken, wenn auf ihn kein flammender Appell im Selenskyj-Stil folgt.

Deutschland mit Führungsrolle?

Christine Lambrecht wiederum, provoziert von Anne Will, wo denn die der Ukraine versprochenen Raketen blieben, konterte zwar, darüber gebe man medial keine Auskunft, weil man dann die Lieferanten zur Zielscheibe mache. Aber auch ihre Einschätzung, selbstverständlich sei Deutschland eine „leading nation“, weil es Straßen und Transportwege bereitstelle, erinnerte etwas an die vielfach verspotteten Helm-Lieferungen an die Ukraine.

Vor dem moralischen „Helft uns jetzt“ notleidender Ukrainer müssen alle Rechtfertigungsversuche, Deutschland unternehme ja durchaus etwas und habe in den letzten Tagen Erstaunliches, nie für möglich Gehaltenes erreicht (hundert Milliarden für die Bundeswehr), klein und unzureichend wirken – selbst wenn sie in sich stimmig und gut begründet sind.

Moral der Geschichte

Die Einschätzungen von Lambrecht, Lambsdorff, Heusgen und Babst mochten also durchaus richtig und mehr oder weniger passend sein – aber gegen Fragen des Typs „Wie konnte das passieren?“ (Anne Will) und ein Schlussplädoyer wie das von Marina Weisband in der Sendung hatten sie, emotional gesehen, keine Chance: „Man schützt die eigene Haut, und alles, was vor der Haustür passiert, passiert vor der Haustür.“ Mit diesem Denken werde, so Weisband, das Recht des Stärkeren in der Welt zementiert, und kleine Nationen könnten dann nur weiter aufrüsten.

Dann sagte sie noch: „Ich verstehe, dass wir alles tun, um die Ukraine zu unterstützen, so lange uns das militärisch nicht gefährdet, so lange uns das wirtschaftlich nicht gefährdet, so lange es uns keine Unannehmlichkeiten bereitet und wir keine Arbeitslosen haben.“

Wie eine Bestätigung von Marina Weisbands Zynismus wirkte daraufhin der Teaser-Hinweis auf die nachfolgenden „Tagesthemen“, der am Ende jeder Anne-Will-Sendung steht. Darin kündigte die Nachrichtensprecherin Aline Abboud an: „Ja, Anne, wir bleiben bei der Frage, die im Moment Millionen Menschen beschäftigt.“ Mit Blick auf den nächsten Winter fragten diese sich: „Wie kommen wir da durch, sollte uns das Erdgas fehlen?“

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