#Warum nur einer von drei abgelehnten Asylbewerbern zurückkehrt
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„Warum nur einer von drei abgelehnten Asylbewerbern zurückkehrt“
Zwei Werte sind seit Jahren unverändert, egal wie viele Menschen in der Europäischen Union um Asyl bitten: Nur einer von dreien wird in erster Instanz anerkannt. Und von denen, die keinen Schutz bekommen, kehrt lediglich ein Drittel in ihre Heimatländer zurück. Am Freitag haben die EU-Innenminister virtuell darüber beraten. Am kommenden Montag werden sie sich mit den Außenministern zusammenschalten, um über ein größeres Paket mit Anreizen zu beraten, von der Entwicklungshilfe bis zur legalen Einwanderung von Fachkräften. Es ist der einzige Punkt in der Migrationspolitik, bei dem sich alle einig sind: Die Mitgliedstaaten müssen wirksamer abschieben. Aber wie?
Thomas Gutschker
Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.
Immerhin verfügen sie über ein neues Instrument, auf das Innenkommissarin Ylva Johansson am Freitag ausdrücklich hinwies. Mitte Februar hat die Kommission erstmals bewertet, wie 39 Drittstaaten bei der Rücknahme ihrer Staatsangehörigen abschneiden. Damit könne man ihnen schwarz auf weiß zeigen, „wie sie kooperieren und wie die Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit sehen, so dass wir Druck auf sie ausüben können“.
Drei Stellschrauben
Den Hebel dafür hat eine neue Klausel im Schengen Visa Kodex geschaffen, die seit Februar 2020 in Kraft ist. Demnach berichtet die Kommission nicht nur jährlich über die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer, sie kann auch an drei Stellschrauben drehen, um Wohlverhalten zu belohnen – oder zu bestrafen. Das betrifft die Höhe der Visumgebühr (im günstigsten Fall: 60 Euro), die Frist, in der über einen Antrag entschieden wird (mindestens 10 Tage), und die Verlängerung der Gültigkeitsdauer eines Visums für mehrfache Einreisen.
Die Minister müssen entscheiden, ob sie diesen Hebel auch einsetzen wollen – und in welchen Fällen. Bundesinnenminister Horst Seehofer drang darauf, „dass wir zügig von diesem Instrument Gebrauch machen“. Wer seine Staatsangehörigen nicht zurück nimmt, „kann auch keine Visumerleichterungen erwarten“. Der CSU-Politiker ist davon überzeugt, dass erst eine harte Linie bei Abschiebungen den Weg zu einer Einigung über die faire Verteilung wirklich Schutzbedürftiger ebnet.
Grundlage der Beratungen war ein vertraulich eingestufter Bericht mit 105 Seiten, in denen alle 39 Staaten nach festen Kriterien bewertet werden. Dieser Bericht liegt auch der F.A.Z vor – er wirft ein Schlaglicht darauf, wie schlecht die Zusammenarbeit gerade mit den Staaten ist, aus denen besonders viele Menschen illegal in die EU einreisen, ohne Aussicht auf Schutz zu haben. Von den Top-10-Herkunftsländern im Jahr 2020 erreicht überhaupt nur eines eine effektive Rückkehrquote von 29 Prozent – Marokko. Kein Wunder, es bekommt auch mit Abstand am meisten Geld aus EU-Programmen, bis zu 1,6 Milliarden Euro in den vergangenen sieben Jahren. Auch andere Staaten werden gefördert, nehmen aber weniger Angehörige zurück. In der Reihenfolge der Rückkehrquote: Türkei (24 Prozent), Tunesien (22), Algerien (19), Pakistan (11), Bangladesch und Sudan (9), Afghanistan (8), Somalia (4), Elfenbeinküste (3). Natürlich liegt es nicht nur an diesen Staaten, ob Abschiebungen gelingen – aber eben auch.
Ein Rücknahmeverfahren durchläuft mehrere Phasen
Der Bericht bringt noch mehr ans Licht. Ein Rücknahmeverfahren durchläuft mehrere Phasen. Zuerst stellt der abschiebende Staat einen Antrag, dann muss die Person identifiziert werden. Staaten, die gut kooperieren, erkennen Ausweisdokumente an, auch wenn sie abgelaufen sind. Andere verlangen eine aufwendige Identitätsprüfung – wodurch Verfahren oft verschleppt werden. Im nächsten Schritt muss ein Reisedokument ausgestellt werden. Manche Staaten akzeptieren ein provisorisches Laissez-Passer, das nur zur Überstellung dient. Andere bestehen auf neuen Papieren und persönlichen Terminen in ihren Konsulaten; das kann sich jahrelang hinziehen. Ist diese Hürde überwunden, bleibt noch der Rückflug. Am effizientesten sind Charterflüge, mit denen größere Kontingente in Begleitung von Beamten zurückgeführt werden. Dafür sind aber oft aufwendige Sondergenehmigungen fällig. Viele Staaten akzeptieren nur Linienmaschinen.
Mit sieben der 39 evaluierten Drittstaaten hat die Europäische Union Rückführungsabkommen geschlossen, mit sechs weiteren gibt es Arrangements. Mit den meisten anderen Ländern bestehen nationale Übereinkünfte, mal mehr, mal weniger. Meistens erleichtern solche Regelungen die Abschiebung. Sie erklären auch, warum die EU-Staaten sehr unterschiedliche Erfahrungen nach Brüssel gemeldet haben – während die einen die Zusammenarbeit bestens nennen, blitzen andere regelmäßig ab. Abkommen sind aber keine Garantie für Erfolg. Obwohl Pakistan schon 2010 einen Deal mit der EU schloss, gestaltet sich die Rückführung zäh. Ebenso ist es bei Afghanistan, einem der wichtigsten Herkunftsländer, das sieben bilaterale Abkommen mit EU-Staaten geschlossen hat. Über Bangladesch heißt es, die mit der EU vereinbarten Regeln würden „selten oder fast nie befolgt“. Die Behörden antworteten „regelmäßig“ nicht auf Anfragen zur Identifizierung ihrer Bürger.
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