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#Welche Probleme Blinde in der Pandemie haben

Welche Probleme Blinde in der Pandemie haben

Hoffentlich ist der Bus nicht so voll. Und die U-Bahn nicht wieder überfüllt. Je länger die Pandemie dauert, desto mehr Menschen denken wohl so. Aber eben nicht alle. Für Blinde und Sehbehinderte ist eine leere U-Bahn ein Graus. Sie orientieren sich am Verhalten der anderen, das ist der Herdentrieb. Wenn viele aussteigen, dann befindet sich die Bahn vermutlich an der Hauptwache und nicht am Grüneburgweg. Wenn nur ein paar verstreute Passagiere in der Bahn sitzen, klappt es mit dem Herdentrieb nicht. Bemerkungen wie „Gleich sind wir an der Musterschule“ sind auch nicht aufzuschnappen. Und wie spreche ich jemanden an, den ich fünf Meter weit weg vermute? Klar, es gibt die Lautsprecherdurchsage. Aber wenn die nicht funktioniert? Und wie soll es mit dem Abstand gehen, wenn man den Abstand nicht sieht?

Die Pandemie macht allen das Leben schwer, manchen jedoch besonders. Vor dem Bäcker stehen jeden Morgen mindestens fünf bis sechs Leute. Woher weiß ein Blinder, wann er reingehen kann? Also fragt er: Ist hier jemand, oder kann mir jemand sagen, wo ich stehe? Nicht jedem fällt das leicht. „Das musst du aushalten“, sagt Andreas Enzmann, Vorstand der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte, die ihren Sitz in der Adlerflychtstraße im Nordend hat und eine Tochter der Polytechnischen Gesellschaft ist. Die meisten wollen sich nach seinen Worten einfach nur einreihen, ohne groß Fragen zu stellen. „Sie sind jetzt auf Platz drei.“ Die Frankfurter seien aber hilfsbereit, das sagt Enzmann auch. Allerdings kann die Hilfsbereitschaft derzeit nicht so weit gehen, jemanden am Ellbogen in die Bäckerei zu führen. Abstand!

Da ist zudem die Sache mit der Maske oder mit dem Dreierpaket Schal, Mütze, Maske, wenn die Sinnesorgane „eingepackt“ sind, die bei der Orientierung helfen. Die FFP2-Maske dämpft die Lautstärke, erschwert es zu hören, was der oder die andere sagt. Außerdem behindert sie den Geruch. Man riecht es nun einmal, wenn man vor dem Café Wacker steht. Das Gehör eingeschränkt, der Geruchssinn auch, nicht sehen oder nur sehr schlecht – es bleibt das Tasten. „Dann tasten sie sich mal grade beim Rewe von den Äpfeln zu den Orangen vor“, sagt Enzmann und fügt hinzu: „Herzlichen Glückwunsch“.

Das Brennglas Pandemie

Sie müssen andere Lösungen suchen, das Virus nimmt ein Stück Selbständigkeit. Also fragen sie jemanden aus der Familie, ob er zum Einkaufen mitkommt, holen sich die Hilfe von Ehrenamtlichen, bestellen Lebensmittel nach Hause oder beauftragen professionelle Dienste, etwa den Fahr- und Begleitservice des Vereins „Blindenfreunde“, mit dem die Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte zusammenarbeitet.

Manche leiden unter den Zwängen der Pandemie mehr, manche weniger. Nach der Erfahrung von Enzmann hängt dies auch vom Selbstwertgefühl ab. Da wirkt Corona wie ein Brennglas – wie in so vielen Dingen des Lebens. Ist jemand defensiv, verschärft es die Zurückhaltung. Ist jemand offensiv, kommt er besser damit zurecht. Für Enzmann ist aber eines klar: Um schadlos durch diese schwierigen Zeiten zu kommen, brauchen Blinde und Sehbehinderte eine gute Portion Selbstbewusstsein. Für dieses Selbstbewusstsein ist wiederum der richtige Umgang mit den Blindentechniken wichtig. Wie gebrauche ich den Langstock, wie kaufe ich ein, wie bezahle ich an der Kasse? Das Problem momentan aber ist das gleiche wie beim Bäcker: Wie komme ich rein in den Supermarkt?

Orientierung und Mobilität, lebenspraktische Fähigkeiten, Alltagsbewältigung – die Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte bietet natürlich so eine blindentechnische Grundausbildung an, zur der noch viel mehr gehört, etwa das Erlernen der Punktschrift. Wenn jedoch ein gefährliches Virus diesen Alltag diktiert, wird alles ungleich komplizierter. Wie so viele hat jedoch auch die Blinden-Stiftung aus dem ersten Lockdown gelernt, hat die Pandemie sie auf digitale Hilfsformen gestoßen. Nur dank der Technik kann sie fast alle Teile ihres Programmes „stemmen“, wie es Enzmann ausdrückt.

Mehr Telefonanfragen in der Pandemie

Es gibt Fernunterricht, ob übers Handy, ob über einen Podcast. Es ist angedacht, ein virtuelles Klassenzimmer einzurichten, mit einer Tafel, auf der man Dokumente hin und her schieben kann. Dokumente mit ganz großen Buchstaben – für die Restsehenden. Beraten wird telefonisch, auch über all die Fragen, die nichts mit Corona zu tun haben: Wie komme ich mit der Lernerei weiter? Jedenfalls hat sich laut Enzmann die Zahl der Telefongespräche verdreifacht.

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Apropos Lernen: Die Stiftung weist auch Flüchtlinge in das blindentechnische Grundwissen ein. Sie kombiniert dies mit Sprachunterricht. Nicht sehen können, kaum Deutsch sprechen und sich deswegen nichts trauen – das ist eine herausfordernde Mischung. Blinde und fast erblindete Flüchtlinge würden „noch einen Tick“ mehr unter Corona leiden, sagt Enzmann: „Für sie ist das ganz schwierig.“ Und der Behördengang ohne fremde Hilfe oder der Arztbesuch so gut wie nicht machbar.

Sein Herz blutet, wenn er an die Blind Foundation denkt, jene Band, die vor ein paar Jahren gegründet wurde, damit Menschen ohne oder mit nur sehr wenig Augenlicht mit Musik ihren Lebensunterhalt verdienen können. Zwei der vier Musiker sind blind. Aber im vergangenen Jahr hatten sie gerade einmal drei Auftritte.

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