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#Widerstand und Widerspruch

„Widerstand und Widerspruch“

Wer moderne Konzeptkunst hasst, bei der Künstler im Kern eine Idee ausstellen, sei vor dieser Ausstellung gewarnt. Zeigt doch die am Wochenende eröffnete und schlicht „Marcel Duchamp“ betitelte Schau, wie stark sich nahezu alle zeitgenössischen Konzeptkünstler auf den 1887 in der Nähe von Rouen Geborenen beziehen. In fast jedem der Säle und zu nahezu jedem der kolossalen siebenhundert Objekte stehen einem sofort die aktuellen, aber meist fast hundert Jahre jüngeren Remakes vor Augen – und das wie so oft nicht zum Vorteil der Nachgeborenen. Ai Weiweis Materialspielereien nach Duchamps Blaupausen – etwa Millionen von Sonnenblumenkerne aus Keramik nachzuahmen oder wertlose Dinge in Marmor – fehlt erkennbar der Esprit des Franzosen, nicht zu vergessen der Spiegel, der beispielsweise den Vogelkäfig voll marmorner Zuckerwürfel „Why Not Sneeze Rose Sélavy?“ in ein raffiniert französisch-voyeuristisches Spiegelkabinett und in die vierte Dimension öffnet. Nicht zuletzt für fluide Geschlechts­zuordnungen, denn seit den Zwanziger­jahren agierte und signierte Duchamp in Frauenkleidern auch dadaistisch als „R(r)ose Sélavy“.

Wie sehr bei Duchamps „Eros c’est la vie“ der inszenierte Künstler selbst zum Objekt der Exhibition wird und alle Bilder bei ihm im Fluss sind, wird durch die Hängung und Stellung im MMK spürbar. Die berühmtesten Readymades wie das Fahrrad-Rad „Roue de Bicyclette“ oder die „Fountain“ kehren in den thematischen Sälen in verschiedenen Lebensphasen im­mer wieder, weil er unter anderem in den Sechzigern mehrere Auflagen davon schuf. Das lässt einerseits die Frage nach dem Original obsolet werden, andererseits be­weist es zugleich, dass jedes dieser reproduzierten Auflagenstücke durch den Du­champ-Effekt des Auf-den-Sockel-Stellens im Museum keineswegs seine Aura verliert.

Die Metamorphosen des Marcel Ovid

Doch wandeln die Readymades in un­terschiedlichen Medien und Aggregatzuständen auch ihre Gestalt und ihr „Ge­schlecht“. Das Urinal der Brunnenfontäne, 1917 ersonnen und vieldeutig signiert mit „R. Mutt“ (sowohl das verwendete Bedfordshire-Sanitärmodell von JL „Mott“ Iron Works an der Fifth Avenue New Yorks als auch ein bekannter amerikanischer Comic wie auch das englische Wort für Schlamm klingen darin an), kann mit seinem zylindrischen Ausflussstutzen als männ­liche Form assoziiert werden. Wird es aus einer anderen Perspektive betrachtet oder gar auf die Seite gelegt, überwiegt die weibliche Form, was etwa in einer frühen Zeichnung des Urinals in leichter Schrägsicht ins Auge springt. Ein ähnlicher Ve­xierbildeffekt stellt sich beim „Flaschentrockner“ ein, der mit seinen zahlreichen Stacheln zum Penetrieren der vollständig zu leerenden Flaschen freudianisch viril gedeutet wurde, im Schattenriss aber auch ein ausladender Krinolinenrock sein kann.

Vor allem aber fehlt vielen der post­modernen „Nach“-Bilder, die beim Be­schauen der wahrlich avantgardistischen Ready­mades assoziiert werden können, die Gedankentiefe, die beim klugen Kopf Du­champ schon deshalb vorhanden ist, weil er über Verbildlichungen bestimmter Probleme zum Teil jahrzehntelang nachdachte. Denn nicht wenige der siebenhundert Ausstellungsstücke bilden mit sinnierenden Briefen an einstige Freunde wie Friedrich Kiesler, Zeichnungen von Zwischenzuständen und Privatfotografien die Interimsphasen des langen gedanklichen Umkreisens ab.

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