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#Wie wird es schmecken, dich zu vergessen?

Wie wird es schmecken, dich zu vergessen?

Als Chavela Vargas im Jahr 1995, damals war sie Mitte siebzig, das Olympia in Paris betrat – es war ein Traum der lateinamerikanischen Volkssängerin, einmal in diesem europäischen Liedertempel aufzutreten – war sie sehr ängstlich. Es war nicht die Angst, die sie vor allen ihren Auftritten, ob in Bars oder größeren Hallen Mexikos, über Jahrzehnte hinweg mit „ein paar Tequilas“ heruntergespült hatte (seit wenigen Jahren war sie abstinent). Es war eine sehr rationale Sorge: „Ich hatte Angst, dass sie nicht verstehen, was ich singe.“ Wobei die Sängerin dabei wohl nicht über die Fremdsprachenkenntnisse ihrer französischen Zuhörer spekulierte, sondern an der Durchsetzungsfähigkeit ihrer inneren Stimme, der Universalität ihrer Performance zweifelte.

Uwe Ebbinghaus

Noch besorgter wäre sie wohl gewesen, hätte sie gewusst, dass Pedro Almodóvar, der sie als seine Muse betrachtete und ihre Musik in vielen seiner Filmen einsetzte, ihr den Auftritt nur ermöglicht hatte, indem er den Veranstaltern versprach, persönlich in Paris über mehrere Tage hinweg die Werbetrommel zu rühren. Chavela Vargas kannte in Frankreich eigentlich niemand. Auch in Madrid, wo ihr Comeback im Jahr 1992 gehörig an Fahrt aufnahm, war sie anfangs mehr ein Insidertipp gewesen. Die traditionelle lateinamerikanische Musik galt in Spanien lange als „altmodisch und sentimental“, wie Alomodóvar in einem Interview sagte, und hatte tiefliegende Vorurteile zu überwinden.

In Paris schienen sich 1995 die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. Wenige Tage vor Vargas‘ Auftritt war kaum eine Karte verkauft worden. Almodóvar wirbelte, telefonierte, erpresste mit all seinem Charme Freunde und Bekannte, und als der Vorhang an dem entscheidenden Abend hochging, so wird es in dem Film „Chavela“ (2017) von Catherine Gund und Daresha Kyi am Ende dargestellt, war jeder Platz besetzt. Das Publikum war begeistert, sodass Vargas anschließend befriedigt feststellen konnte: „Aber sie verstanden mich, denn nach dem Konzert betrank sich das gesamte Publikum. Vier Stunden zuvor kannte mich dort niemand. Aber nach dem Konzert sprach ganz Paris über mich.“

Es ist eine bemerkenswerte Verständigungstheorie, die Chavela Vargas hier entwickelt: Wenn die Zuschauer, die meine Sprache nicht sprechen, sich nach meinem Auftritt betrinken, haben sie mich verstanden. Der pure Behaviorismus, könnte man sagen, und man könnte die Theorie noch fortspinnen. Denn auch drei Jahre zuvor in Spanien hatte man Chavela Vargas trotz der gemeinsamen Sprache nur in einem Teilbereich ihrer Persönlichkeit und dessen, wofür sie eintrat, verstanden. Sie, die in Mexiko zeitlebens für das Recht auf Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung gekämpft hatte, musste erleben, dass ihr Publikum in Madrid diese Freiheit längst nicht mehr in Frage stellte, wie der Sänger und Schauspieler Miguel Bosé in „Chavela“ bemerkt. Vargas‘ Musik, ihre Texte, ihre Sprache, ihre Stimme, wirkten auf anderer Ebene. Almodóvar, der sie schon in jungen Jahren verehrt hatte, schildert es so: „Sie war eine Art Priesterin“. Und in dem Interview-Band mit Frédéric Strauss bringt er Vargas‘ vermeintliche Religion dann mit seiner eigenen in Verbindung: „Der Schmerz bewegt mich, er ist eine Religion, eine Religion, die jedem zu kommunizieren erlaubt, weil jeder weiß, was Schmerz ist.“

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