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#„Wir sind noch lange nicht am Ziel“

„„Wir sind noch lange nicht am Ziel““

Schon seit einer Weile ist viel von Wandel, von Umbruch, von Verbesserungen die Rede im deutschen Frauenturnen. Das hat allem voran mit der seit 2020 anhaltenden Debatte um missbräuchliche Trainingspraktiken zu tun, die in Großbritannien mit dem Hashtag #gymnastAlliance ihren Anfang genommen und weite Teile der Turnwelt erfasst hat.

Der Deutsche Turner-Bund hat das Kulturwandel-Projekt „Leistung mit Respekt“ aufgelegt, für das auch Bundestrainer Gerben Wiersma, seit Februar im Amt, steht. Nun findet in Liverpool die Weltmeisterschaft statt, und Wiersma hat es zuvorderst mit einem Umbruch zu tun, der in diesem Ausmaße nicht erwartbar war: Nach dem Karriereende von Kim Bui muss er verletzungsbedingt auf zwei weitere erfahrene Turnerinnen, darunter auf die WM-Zweite am Balken, Pauline Schäfer-Betz, verzichten. Für Elisabeth Seitz ist es die zehnte Weltmeisterschaft, für die anderen vier Turnerinnen die erste.

„Die sind total cool“

„Es ist ein junges Team, aber ich muss sagen: Die sind total cool, sie gehen ganz offen auf alles zu und machen es so gut, wie sie es können“, sagte Tatjana Bachmayer nach dem Podiumtraining über die Herangehensweise der Debütantinnen. Auch für die Cheftrainerin aus Karlsruhe ist es die erste WM: „Ich freue mich total, dass ich hier sein kann“, sagt Bachmayer, sie habe nicht damit gerechnet, dass sie als Trainerin nominiert wird. Dabei ist es keineswegs das erste Mal, dass Karlsruher Turnerinnen in einem WM-Aufgebot stehen, bislang hatte die 48-jährige Bachmayer aus Rücksicht auf ihre eigenen Kinder oft auf internationale Einsätze verzichtet.

Sie hatte auch nicht damit gerechnet, dass ihr Schützling Anna-Lena König schon in diesem Jahr international zum Einsatz kommt. König ist jüngst sechzehn Jahre alt geworden, im Frühjahr hatte sie bei ihrer ersten deutschen Meisterschaft als „Seniorin“ Rang vier belegt. Damals antwortete Bachmayer auf die Frage nach einem eventuellen EM-Startplatz: „Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn sie nicht dabei ist, sie hat noch so viel Zeit. Ich versuche langsam aufzubauen, damit sie auch noch dabei sind, wenn sie es mit anderen Augen sehen können.“ Bachmayer ist eine entschiedene Verfechterin der Anhebung des internationalen Startalters auf 18 Jahre.

Teamergebnis steht im Vordergrund

Nun also plötzlich die ganz große Bühne für Anna-Lena König. Sie und ein weiterer Neuling, Karina Schönmaier, gingen in der Qualifikation an allen vier Geräten an den Start. Sie verpassten in der Qualifikation am Sonntag aber das Mehrkampf-Finale. Die Europameisterinnen von München, Elisabeth Seitz und Emma Malewski, sind nach einer Corona-Erkrankung (Seitz) und einer Fußverletzung noch nicht wieder in allerbester Verfassung, sodass die ursprüngliche Ersatzturnerin Lea Quaas, ebenfalls noch ohne großen internationalen Einsatz, an drei Geräten zum Einsatz kommt.

Im Vordergrund steht für Bundestrainer Wiersma allerdings das Teamergebnis, ein Platz unter den besten acht der Welt ist das erklärte Ziel für die Olympischen Spiele 2024. „Ich würde sagen, Top acht ist grundsätzlich unser Ziel“, sagte er im Vorfeld, räumte aber auch ein, in Liverpool könnte das „schwierig“ werden.

Aber die sportlichen Ziele sind ja, apropos Kulturwandel, laut DTB nicht alles. Die Linie, die Cheftrainer Wiersma vorgebe, sei „schon ein bisschen anders, als ich es gewohnt bin“, sagt Tatjana Bachmayer. Sie meint das positiv und nennt Details: Es werde nicht einfach bestimmt, sondern alles transparent erklärt, der Athlet habe die Möglichkeit, rückzufragen und seine Meinung kundzutun. Das Gleiche gelte für das Trainerteam: Gespräche, Rückfragen, Verbesserungsvorschläge, ständiger offener Austausch.

Das eigene Handeln reflektieren

Dieses Vorgehen entspricht aus Bachmayers Sicht dem, was im Kulturwandelprozess gefordert ist, nämlich, „dass die Trainer ihr eigenes Handeln reflektieren, aber auch, dass wir gemeinsam unser Handeln reflektieren – das ist deutlich zu spüren“. Tatjana Bachmayer ist wohl die Trainerin in Deutschland, die sich am intensivsten mit dem DTB-Projekt zum Kultur- und Strukturwandel beschäftigt hat.

In der Steuerungsgruppe, dem zentralen Gremium, ist sie die Trainervertreterin aller olympischen Disziplinen im DTB. Ihr geht es um ganz konkrete Veränderungen, so zum Beispiel im Wettkampfprogramm für den Nachwuchs. „Wenn heute eine Achtjährige anruft, dann muss ich ja schon sagen: ‚Du bist zu alt!‘ Das kann einfach nicht sein“, sagt Bachmayer.

Man konnte sich schließlich darauf einigen, dass Nachwuchsturnerinnen beim jährlichen Test von nun an im Jahrgang unter ihrer Alterklasse antreten dürfen. Aber ein Haken bleibt. Denn tun sie das, verlieren sie ihren Kaderstatus. „Es ist immer noch ein Entwicklungsprozess, aber es fühlen sich immer mehr angesprochen und mitgenommen“, sagt Bachmayer über ihre Trainerkolleginnen und -kollegen.

Ihre Haltung mit Blick auf das offizielle Auslaufen des DTB-Programms Ende des Jahres ist sehr entschieden: „Wir sind noch lange nicht am Ziel.“ Das trifft eventuell nicht nur für Deutschland zu: Im Rahmen der Weltmeisterschaft organisiert der Internationale Turner-Bund ein zweitägiges „Safe Sport Symposium“, die Initiatorinnen von #gymnastAlliance stehen nicht auf der Rednerliste.

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